Foto: APA/dpa

Wien – Grünräume sind gesund – doch warum und wie das genau funktioniert, wird im Detail erst seit rund 15 Jahren erforscht. Klar ist bisher: Das "Vitamin G" beeinflusst Menschen auf unterschiedlichen Ebenen. Wer ins Grüne geht, ist aktiver, aufmerksamer, weniger gestresst und beweglicher, so aktuelle Studien, die Ende letzter Woche bei einer Konferenz an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien präsentiert wurden. Auch das Immunsystem wird positiv beeinflusst, wie Forschungen hinsichtlich der japanischen Tradition des Shinrin-yok – des Badens in der Atmosphäre des Waldes – zeigen.

Schon die Menge des Grüns in Nähe des Wohnortes verbessert die physische und mentale Gesundheit. Das gilt insbesondere für Kinder – und für sozial benachteiligte Gruppen: "Wenn du keine Wahl hast, wo du lebst, nirgends hinfahren kannst und vielleicht keinen Job hast, dann macht es einen größeren Unterschied, was du siehst, wenn du vor die Tür trittst", sagt Catharine Ward Thompson von der Edinburgh School of Architecture and Landscape Architecture im Gespräch mit dem STANDARD. Laut jüngsten Forschungen wirkt sich das sogar auf die nächste Generation aus: "Ob die Mutter in einer grünen Umgebung wohnt, beeinflusst das Geburtsgewicht von Säuglingen", so die Landschaftsarchitektin.

Sinkende Stresskurve

Dass grünere Wohnumgebungen Stresswerte positiv beeinflussen, konnte Ward Thompson in einer aktuellen Studie nachweisen: Über den Tag verteilt maßen Arbeitslose in zwei stark benachteiligten schottischen Stadtvierteln – eines davon grüner, das andere mehr Betonwüste – ihren Level des Stresshormons Cortisol in der Atemluft. Das Ergebnis: Die Stresskurve im grünen Viertel verlief besser als jene in der Betonwüste; für Männer war der Zusammenhang signifikant. "Derzeit werten wir aus, ob es einen Unterschied macht, was die Testpersonen getan haben – ob sie die Grünflächen also auch aktiv genutzt haben", sagt Ward Thompson.

Wer sich im Grünen bewegt, profitiert jedenfalls mehrfach: "Was die Mobilität betrifft, helfen auch Spaziergänge in der Stadt, aber nicht für die Aufmerksamkeit", sagt der Schweizer Biologe Raimund Rodewald in seinem Vortrag. Selbst kleinste Aufenthalte in der Natur – beispielsweise in der Schulpause – wirken positiv. Ob man sich im Weingarten, auf der Wiese oder im Wald besser erholt, soll ein neues Forschungsprojekt von Ward Thompson klären, bei dem unter anderem mittels Headset die Emotionen von Menschen im Stadtverkehr sowie in Grünräumen mit und ohne Menschen erfasst werden.

Für Österreich zeigt eine aktuelle Studie des kürzlich gegründeten Forschungsknotens Green Care, dass Gärten nicht nur erholsamer sind als Balkone oder Terrassen, sondern auch wie das eigene Wohnzimmer eingestuft werden. Im Zuge dieser Studie – die Ergebnisse wurden kürzlich im Journal Urban Forestry & Urban Greening publiziert – wurden über 800 Gartenbenutzer online befragt. "Unabhängig vom Stressniveau erholen sich im Garten demnach diejenigen, die gut abschalten können", sagt Studienleiterin Renate Cervinka. Ob der Garten erholsam ist, hängt aber auch davon ab, wie grün und natürlich er ist. "Vor allem ist es aber wichtig, mit der Natur in Beziehung zu treten, den Garten als Ganzes zu erleben", sagt die Umwelt- und Gesundheitspsychologin.

Das gelte besonders für Kinder, denn viele seien heute schon der Natur entfremdet, kritisiert Cervinka: "Sie sollten garteln, einer Ameise zusehen, Meisenknödel aufhängen oder Verantwortung für den Igel übernehmen, etwas tun, was Spaß macht – kleine alltägliche Dinge, die wir aus dem Fokus verloren haben." Damit lege man auch den Grundstein dafür, dass später die Natur überhaupt genutzt werde, denn, so Ward Thompson: "Junge Erwachsene, die diese positive Naturerfahrung als Kind nicht hatten, halten einen Spaziergang in der Natur mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für eine gute Idee, wenn sie emotional aufgeregt oder gestresst sind."

Green Care für Betagte

Aber auch für Hochbetagte sind laut Studien das Gärtnern oder ein Spaziergang in der Natur mobilisierend. Was Gartentherapie in der Palliativmedizin bewirkt, wird gerade in Zusammenarbeit mit dem AKH erforscht, sagt Birgit Steininger, die Leiterin des Universitätslehrgangs für Gartentherapie und des Masterlehrgangs Green Care an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. Generell nehme das Interesse für Green Care derzeit stark zu, so Steininger. Ein blühendes Feld. (Heidi Weinhäupl, 10.4.2016)