Das Wort Steueroase regt die Fantasie jedes Menschen anders an. Manche stellen sich eine idyllische Insel, umgeben von Traumstränden, vor, wo an jeder Ecke das Büro eines schmuddeligen Steuerberaters steht. Andere denken an das noble Hinterzimmer einer Anwaltskanzlei in Genf. Aber vielleicht muss man sich eine Steueroase anders vorstellen, um ihr Geschäftsmodell zu verstehen. Steueroasen sind Unternehmen, die ein einziges Produkt zum Verkauf anbieten: Diskretion. Sie ermöglichen Politikern, Sportlern und Superreichen, gegen eine Gebühr ihr Vermögen zu verstecken.

Oasen arbeiten zusammen, wenn es sein muss. Es kommt vor, dass ein Kunde viele Tarnungen benötigt. Aber als Unternehmen stehen sie grundsätzlich im Wettbewerb. Dieser kann knallhart sein, wie ein Beamter aus dem österreichischen Finanzministerium sagt, der das Thema gut kennt: "Es ist wie in einem Krieg."

Bild nicht mehr verfügbar.

Dieses Bild von Wyoming kennen viele: Bisons grasen friedlich. Die andere Seite des Bundesstaates ist weniger bekannt: Wyoming ist ein beliebter und diskreter Finanzplatz.
Foto: Reuters/Jim Urquhart

Die Panama Papers bieten Gelegenheit für einen Angriff. Die Enthüllungen über die wahren Eigentümer von mehr als 200.000 Briefkastenfirmen durch die Süddeutsche Zeitung und das Internationale Konsortium für Investigativen Journalisten (ICIJ) haben das lateinamerikanische Land bloßgestellt. Die Industriestaatenorganisation OECD und die EU kündigen an, Panama auf eine schwarze Liste von Steueroasen setzen zu wollen. Wenn das Land nicht kooperiert, drohen Sanktionen.

Schwarzgeld fließt ab

Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis Panama-Stadt einknickt. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass Transparenzinitiativen oft nur zu einer Verlagerung von Schwarzgeldern führen. Das kennt man auch in Panama. 2005, als in der EU der grenzüberschreitende Datenaustausch von Bankdaten begann, wurden tausende Gesellschaften in Panama gegründet. Dadurch entkamen viele der Enttarnung. Wohin fließen die Gelder diesmal?

Ganz oben auf der Liste steht nach Ansicht von Experten diesmal nicht ein Off-, sondern ein Onshorezentrum. "Der große Gewinner sind die Vereinigten Staaten", sagt Mark Morris. Der in der Schweiz lebende Berater gilt als einer der international versiertesten Experten für Steueroasen.

Morris ist jemand, den man als Nerd bezeichnen würde. Er lernt internationale Vereinbarungen, mit denen Steuersünder gejagt werden, auswendig und sucht dann akribisch nach Schlupflöchern. Sein Wissen bietet er Organisationen wie der OECD ebenso an wie Steuerberatern und Anwaltskanzleien. Der STANDARD kontaktierte Morris in Kolumbien – auf dem Weg nach Panama.

Einbahnstraße USA

Dass die USA von Panamas Krise profitieren, hat seinen Grund im Dickicht der Vereinbarungen, die Morris beschäftigen. 2010 haben die USA eine Offensive gestartet, um Steuersünder weltweit zu ergreifen. Sie haben mit dutzenden Ländern bilaterale Abkommen geschlossen, die zu Transparenz führen sollen. Ausländische Banken und Versicherungen müssen ihre US-Klienten schonungslos der Steuerbehörde in Washington melden. Firmen und Privatpersonen sind betroffen.


Bild nicht mehr verfügbar.

Maria Fekter forderte von ihrem damaligen britischen Amtskollegen George Osborne eine Offenlegung von Trusts. Heute fühlt sie sich bestätigt.
Foto: AP/Yves Logghe

Das Problem an Fatca, so heißt das Gesetz, auf dem die Abkommen beruhen, ist, dass der Datentransfer nur in eine Richtung läuft. Während Informationen in die USA geliefert werden, kommt wenig zurück. Einige Länder wie Österreich haben darauf verzichtet, Daten zu erhalten. Das hat damit zu tun, dass die Exfinanzminister Maria Fekter und Michael Spindelegger, die das Abkommen aushandeln ließen, mit Zugeständnissen Österreichs Bankgeheimnis retten wollten – vergeblich, wie man heute weiß.

US-Trumpf: Fatca

An wichtige Informationen aus den USA kommen aber auch Länder nicht heran, in denen Fatca für beide Partner des Abkommens gilt. Das lässt sich am Fatca-Abkommen mit Deutschland zeigen. Gibt es nur irgendeinen US-Bezug, müssen deutsche Banken die wirtschaftlich Berechtigten hinter einer Briefkastenfirma ermitteln und alle Daten nach Washington schicken. Umgekehrt gibt es diese Verpflichtung nicht.

Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama würde das gerne ändern und mehr Daten liefern. Doch dazu bräuchte er die Zustimmung des republikanisch geführten Kongresses, den das Thema bisher wenig interessiert.

Angetrieben durch Fatca, sind die OECD und die EU aktiv geworden. Eine internationale Vereinbarung legt fest, dass ab 2017/2018 ein globaler Datentransfer startet. Mehr als 90 Länder haben sich verpflichtet, steuerrelevante Informationen auszutauschen. Neben Österreich und der Schweiz sind Offshore-Destinationen wie die British Virgin Islands dabei. Nicht mitmachen wollen die USA. Sie haben ja Fatca, wie das Land beteuert.

Exodus in die USA

In Europa wird überlegt, wie man Druck auf Washington ausüben kann. Eine Gruppe von EU-Parlamentariern rund um die Grünpolitikerin Molly Scott Cato arbeitet an einem Konzept, um eine Strafsteuer gegen US-Banken einzuführen, die keine Infos liefern. "Solange solche Ideen nicht konkret werden, bleiben die USA der beste Platz für Ausländer, die durch Panama-Leaks aufgeschreckt wurden, um ihr Geld zu verstecken", sagt Morris.

Dafür, dass ein Finanzexodus in die USA begonnen hat, gibt es anekdotische Belege. Neben dem wegen seines diskreten Umfelds stark frequentierten Bundesstaat Delaware haben sich in den letzten Jahren Nevada und Wyoming als großzügiger Onshore-Sitz für Ausländer hervorgetan. Im bevölkerungsärmsten Bundesstaat der USA, Wyoming, kommen auf eine halbe Million Einwohner bereits mehr als 100.000 registrierte Firmen, Tendenz steigend. Morris erzählt, dass Schweizer Banken ihren Kunden beim Gang in die USA aktiv helfen. So fällt für alle etwas an Transfergebühren ab.

Zahlreiche Kunden werden wohl aus Panama abziehen. Und in die USA übersiedeln?
Foto: AFP/ Rodrigo Arangua

Nun könnte wegen der Panama Papers ein weiterer Schub ausgelöst werden. Kann es sein, dass die USA deshalb hinter den Panama-Enthüllungen stehen – sie also die anonyme Quelle der Süddeutschen gesteuert haben? Eine immer häufiger gestellte Frage lautet ja: Warum kommen in den Unterlagen kaum Amerikaner vor, während die Namen russischer, syrischer oder chinesischer Oligarchen und Politiker haufenweise auftauchen?

211 Amerikaner

Die Recherchen sind zwar noch im Gange. Aber Fusion.net, US-Partner der Plattform ICIJ spricht von gerade 211 Personen mit US-Adressen, die in den Panama Papers aufscheinen. Das Portal McClatchy, das ebenfalls mit dem Netzwerk kooperiert, hat dutzende Betrüger und Pensionisten in den Files ausfindig gemacht. Big Names fehlen aber. Die Skepsis wird auch von Wikileaks geschürt. Die Plattform kritisierte auf Twitter, dass US-Regierungsstellen das Panama-Paper-Projekt mitfinanzierten. Auf der Homepage des ICIJ wird ja tatsächlich die Entwicklungshilfeagentur USAID als ein Sponsor geführt.

Wikileaks deutet an, dass Daten von US-Bürgern zurückgehalten werden, wobei die Verschwörung tief reichen müsste, wenn man bedenkt, dass rund 100 Medienunternehmen bei den Panama Papers dabei sind.

So gibt es denn auch seriösere Erklärungsansätze für die fehlenden Amerikaner. Manche haben mit der Rolle der USA als Steueroase zu tun – diesmal für Inländer.

Keine Offenlegung

Die wirtschaftlich Berechtigten von Firmen müssen in vielen Bundesstaaten nicht offengelegt werden. Selbst Treuhänder oder Agenten wissen oft nicht, wessen Geld sie anlegen. Damit offeriert beispielsweise Nevada mehr Diskretion als die Cayman Islands, meint der Offshore-Experte und Autor Jason Sharman. Im Gegenzug haben die USA schon nach der Jahrtausendwende eine Aktion scharf gegen Offshore-Zentren wie Panama gestartet. Die Steuerbehörde IRS hat Kreditkartenbesitzer aus Niedrigsteuerländern intensiv gejagt.

Als Offshore-Zentren gewinnen könnten nicht nur die USA, sondern auch Hongkong, Dubai und die Bahamas. Die drei haben zwar zugesagt, beim globalen Datenaustausch mitzumachen, "in der Praxis legen sie sich aber gegen das neue System quer", sagt Morris. Dubai und Hongkong werden nicht leicht zum Einlenken zu bewegen sein. Gewinner und Verlierer der Affäre stehen schon weitgehend fest.

Und Großbritannien? Die britischen Überseegebiete und Kanalinseln zählen zu den größten Steueroasen. Die Anwälte von Mossack Fonseca haben die meisten Briefkastenfirmen laut ICIJ nicht in Panama, sondern auf den British Virgin Islands gegründet. Von 100.000 Gesellschaften ist die Rede. Auch Premier David Cameron war an einer Offshore-Gesellschaft beteiligt.

Maria Fekters Kampf

Unangenehm ist das für ihn, weil er und seine konservative Regierung in der Vergangenheit als Verteidiger der Offshorezentren aufgefallen sind. Eine Initiative zur Einführung von Registern für Trusts versuchte er zu hintertreiben, wie die Financial Times berichtete. Gut in Erinnerung geblieben ist das Exministerin Maria Fekter. 2013, als das heimische Bankgeheimnis international am Pranger stand, attackierte sie die Rolle der britischen Offshore-Zentren scharf. Viele sahen auch in dem Streit einen Kampf Steueroase gegen Steueroase.

Die Offensive von damals sei "völlig richtig gewesen", sagt Fekter, die heute einfache ÖVP-Abgeordnete ist. Die Panama Papers machten ja deutlich, dass das Transparenzproblem nicht vom Bankgeheimnis, sondern von den anonymen anglosächsischen Gesellschaften ausgeht, so Fekter. "Für Steuerflüchtlinge reicht es aus, auf die Kanalinseln zu gehen. Sie müssen nicht nach Panama."

Ob Cameron und die City of London ihre Hand weiterhin über Cayman, Jersey und Co halten können, wird sich weisen. Wovon das abhängt? Wohl auch von den weiteren Panama-Enthüllungen. (Andreas Schnauder und András Szigetvari, 9.4.2016)