Erwin Bohatsch vergleicht seine Bilder gerne mit Musik. Hier: "Ohne Titel" (2015).

Foto: Erwin Bohatsch

Wien – Eine vorteilhafte Fähigkeit des Menschen ist es, Dialoge mit offenem Ausgang anzetteln zu können. Auf ebensolchen, geführt zwischen einem Künstler und seinem Ausdrucksmittel, fußt die abstrakte Kunst von Erwin Bohatsch. Worauf ein einmal gesetzter Pinselstrich hinausläuft, da lässt der 1951 in Mürzzuschlag geborene Künstler gerne auch diesen selbst mitreden. Auf Intuition, Kontemplation, auf aufmerksames Treibenlassen kommt es an: Auf "Planktonintelligenz statt Schwarmintelligenz", könnte man sagen, wollte man ein schönes Wort des Sängers Friedrich Liechtenstein bemühen.

Die Assoziation sei erlaubt, weil sich auch Betrachter, beauftragt damit, die Dialoge mit Bohatschs Kompositionen weiterzuführen, wie Plankton fühlen könnten: Alles fließt, alles schwingt zwischen Polen, alles atmet in diesem bemerkenswerten bildnerischen Kosmos. Davon überzeugen kann man sich aktuell in seiner Retrospektive in der Albertina. Rund vier Schaffensjahrzehnte umfasst die Schau, aber einmal darin eingetaucht, muss man den Überblick über die Zeitebenen nicht zwingend behalten.

Freilich gibt es da gewisse Tendenzen, zum Beispiel zum lasierenden Farbauftrag, zum Wolkigen, zum Denken in Schichten – oder zu einer gedämpften Farbigkeit irgendwo zwischen Terrakotta, Grau, Schwarz. Das Licht spielt eine tragende Rolle. Und natürlich lullen einen da etliche dieser organisch geschwungenen, an Darstellungen von Schallwellen erinnernden Formen ein.

Alles soll möglich bleiben

Ja, es gibt auch Serien von Bildern, Verdichtungen bestimmter Ideen. Eine Werkgruppe nimmt etwa die Verschleißerscheinungen auf Gemäldeoberflächen zum Ausgangspunkt malerischer Explorationen. Letztlich lässt sich dieser Organismus allerdings kaum festlegen. Konstant ist im Werk Bohatschs, der auch an der Akademie der bildenden Künste Wien abstrakte Malerei unterrichtet, nicht zuletzt das Bekenntnis zum lustvollen Alles-soll-möglich-Bleiben.

Verbindung stiftet auch die Idee der Selbstreflexion von Malerei und Zeichnung. Auf deren Gegenüberstellung beruht die Schau: Fernab aller Gegenständlichkeit befühlen die Medien, in beredtem Dialog stehend, ihre Eigenheiten. Falls Betrachter darin doch Figuren, Landschaften, Symbole erblicken sollten, ist das meist auch ein Verweis auf jene Wahrnehmungsgewohnheiten, die hier eben infrage gestellt werden sollen.

Verweigerung des Expressionismus

Sicher keine Illusionen sind die Körper in den frühen, einleitenden Arbeiten: Auf den Plan der österreichischen Kunstgeschichte getreten in den späten 1970er-Jahren, begann Bohatsch nämlich mit figürlicher Malerei, näherte sich zunächst den Menschendarstellungen ferner Kulturen, deren Denksystemen. Seine späteren Arbeiten bieten eine Art mystischer Kontemplation unmittelbar an. In den Expressionismus seiner Generation der "Neuen Wilden" wollte er sich indes nie so recht einfügen.

Wer geneigt ist und sich treiben lässt, dem offenbaren sich dann doch Erzählungen – etwa über das Verschwinden und Wiederkommen der Farbe: Um das Jahr 2000 fand der Künstler zu höchst zurückgenommenen, fast monochromen Arbeiten; zu entleerten Bildern, deren nächstes akustisches Pendant die Stille wäre. Erst seit kurzem erlaubt sich Bohatsch wieder Farbe. Wie Lichtreflexe, die sich von der Meeresoberfläche hierher verirrt haben, nehmen sich rote, grüne, blaue Schleier auf Bildern von 2015 aus. (Roman Gerold, 11.4.2016)