Bashar al-Assad ist es immerhin zu verdanken, dass wieder einmal in Erinnerung gerufen wird, wie lange das Schlachten in Syrien bereits dauert: Schon zum zweiten Mal in Kriegszeiten – das erste Mal war 2012 – wurden am Mittwoch Parlamentswahlen abgehalten, natürlich nur in den vom Regime kontrollierten Gebieten. Die mediale Empörung über die Farce in allen Ehren, aber vom Standpunkt Assads aus ist dieser Wahlgang, auch wenn er gleich aus mehreren Gründen keine repräsentativen Resultate erzielt, zwingend: Diese Wahlen sind ganz einfach fällig, und der Präsident würde zugeben, dass er politisch nicht mehr Herr der Lage ist, wenn er sie nicht abhält.

Dass Moskau angesichts der Syrien-Gespräche in Genf gerne eine Verschiebung gesehen hätte, ist bekannt. Aber der russische Außenminister Sergej Lawrow hat die Situation am Mittwoch pragmatisch zusammengefasst: Die Wahlen sind da, um Syrien nicht in ein verfassungsmäßiges Vakuum fallen zu lassen – bevor unter einer neuen Verfassung neue Wahlen stattfinden werden. Man könnte auch sagen: Diese Wahlen sind egal.

Viel besorgniserregender sind da andere Entwicklungen beziehungsweise ein Stillstand: Während die seit Ende Februar einigermaßen haltende Waffenruhe in Syrien immer brüchiger wird, zeichnet sich an der diplomatischen Front keinerlei Bewegung ab. In Genf trafen ab Mittwoch die Delegationen von Regime und Opposition ein, aber offenbar mit genau den gleichen roten Linien, mit denen sie Genf Anfang Februar nach einem kurzen Auftakt verließen: Für das Regime ist auch ein mittelfristiger Abgang Assads nicht verhandelbar, für die Rebellen kann es keine Übergangslösung mit Assad geben.

Die Lage rund um Aleppo, wo die Waffenruhe zwischen Rebellen und Regime auf dem Prüfstand steht, wird je nach Standpunkt unterschiedlich beschrieben: Die Nusra-Front – also Al-Kaida – habe eine Offensive gegen die syrischen Regierungstruppen begonnen, sagen die Russen; die Befreiung von Aleppo sei angelaufen, sagen die Syrer selbst. Die Rebellen sehen die Präsenz der Nusra-Front als willkommene Ausrede für das Regime, seine Gewinne im Schatten der Feuerpause – die für den Kampf gegen die Nusra-Front wie auch für jenen gegen den "Islamischen Staat" nicht gilt – weiter auszubauen.

Mit der Waffenruhe würde auch die Hoffnung in Genf zusammenbrechen. Wie schon vor dem ersten Anlauf der Gespräche machen Hinweise auf einen amerikanischen Plan B die Runde: eine drastische Erhöhung der militärischen Unterstützung durch die USA für die als moderat eingestuften Rebellen – wohl im Wissen, dass ein Teil der Waffen dann bei Al-Kaida landen wird. Damit soll Moskau die Rute ins Fenster gestellt werden: Es ist wieder einmal Zeit, bei Assad auf den Tisch zu hauen.

Aber auch die Syrer und Syrerinnen selbst verhelfen Assad vielleicht zu einer etwas realistischeren Einschätzung seiner Lage. In den Gebieten, in denen der Krieg zum Erliegen kam, wurde zum ersten Mal seit langer Zeit wieder gegen das Regime demonstriert. Aber genauso wichtig sind auch die Proteste gegen die Nusra-Front in Maarat al-Numan bei Idlib: Die Bevölkerung hat dort nicht hingenommen, dass die Jihadisten die Rebellen der "Freien Syrischen Armee" verdrängen und verfolgen. Die Menschen in Syrien haben nicht vergessen, worum es ursprünglich ging. (Gudrun Harrer, 13.4.2016)