Mexrrissey "No Manchester. Mexico Goes Morrissey." (Cooking Vinyl)

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Morrissey ist ein Held. Und zwar nicht nur bei uns bleichen Brüdern, die wir gerne mit Gladiolen in der Hosentasche spazieren gehen und dabei Oscar Wilde rezitieren. Morrissey wird vor allem in Lateinamerika verehrt. Der aus Manchester stammende frühere Sänger und Posterboy von The Smiths füllt dort die großen Stadien. In Mexiko hat man sich nun entschlossen, den 56-Jährigen mit einem Tribute-Album zu würdigen: Mexrrissey – Mexico Goes Morrissey. Untertitel: No Manchester.

Schon einmal hat ein Mexikaner mit Heldenverehrung Karriere gemacht, El Vez. Der wickelte Songs von Elvis Presley in Enchiladas und richtete sie mit Bohnen und Mariachi-Bläsern publikumswirksam an. Wobei El Vez eigentlich aus dem mexikanischen Außenbezirk Kalifornien stammt, eine Punk-Vergangenheit aufweist und nach seinem dem King gewidmeten Debüt noch anderen international bekannten Künstler dieselbe Behandlung angedeihen ließ: Bob Dylan, David Bowie … allen schlug die Taco Bell.

MexrrisseyVEVO

2014 begannen der aus Mexiko-Stadt stammende Produzent Camilo Lara und der von Calexico und dem Orkesta Mendoza bekannte Sergio Mendoza mexikanische Musiker für ein Morrissey-Tribute zu gewinnen. Mexrrissey besteht aus rund zehn geneigten Amigos inklusive der Sängerin Ceci Bastida. Ob die Gang damit zu Hause erfolgreich ist oder wegen Blasphemieverdachts im Untergrund lebt, ist nicht bekannt. Immerhin reichte es bereits für eine Tournee auf der britischen Insel. Der Schmäh ist einfach. Mexrrissey nahmen sich für Mexico Goes Morrissey ein paar der schönsten Sehnsuchtshadern des Leidensmannes, übersetzten sie ins Spanische und versahen sie mit Insignien der landeseigenen Folk lore, die sich im Rhythmus und der Instrumentierung niederschlagen. Vornehmlich trägt der Einsatz elegischer Bläser dazu bei, Liedern wie El Primo Del Gang (First Of The Gang To Die), Cada Día es Domingo (Everyday Is Like Sunday) und Entre Más Me Ignoras Más Cerca Estaré (The More You Ignore Me The Closer I Get) den Sombrero aufzusetzen.

Dazu wird geschmachtet und Morrissey als Heilsbringer gefeiert. Für sieben Lieder hat das fürs Erste einmal gereicht, die zweite Seite des Albums bietet noch einmal fünf davon live an, aufgenommen in Nueva York. In diesem Liveset offenbart sich der Charme des Projekts besser als im Studio.

Sehr wahrscheinlich gab es nicht bloß Light Beer, sondern Tequila und Cerveza in der Garderobe. Der Zuspruch des Publikums tut ein Übriges, um das Projekt Mexrrissey hochleben zu lassen, am besten schlägt man sich in Cada Día es Domingo. Das geht immer – in jeder Sprache. Wäre diese Verehrung weniger brav und großzügiger ausgelegt worden, hätte man ein paar The-Smiths-Songs einbezogen, die Ergebnisse wären noch bezaubernder geworden und würden mit sieben Songs nicht ganz so arm erscheinen. (flu)

Clemens Wenger "Neapel" (Jazzwerkstatt)

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Es beginnt denkbar gemütlich, simpel und durch und durch verträumt: Eine zierlich-schöne Klaviermelodie dreht Kreise um sich selbst, schwebt so schüchtern wie eindringlich über Streicherlinien, bis sie in Synthiekleider schlüpft und schließlich nach etwa zwei Minuten auch schon wieder Abschied nimmt – nicht jedoch, ohne in einem Klangmix aus Klavier und Elektronik wiederzukehren und einer kleinen Improvisation ihres Erfinders Raum zu gewähren.

Diese Miniatur, dieses kleine Melodiekarussell von Keyboarder Clemens Wenger (Titel: The Circle Games) ist so unprätentiös wie eingängig, ein diskretes Notturno quasi, von denen es auf Neapel aber noch einige zu studieren gibt. "Ich wollte so wenig wie möglich erzwingen oder aushirnen, sondern durch das Simple zu einem neuen Sound finden", erklärt Wenger. Als subtil komponierender Musikdramaturg hat er allerdings keinesfalls eine Einspielung vorgelegt, die nur als atmosphärisch-schmucke Stimmungswolke daherkommt.

Eigentlich klar bei einem, der auf vielfältige Aktivitäten verweisen kann. Als Gründer und Leiter der Jazzwerkstatt Wien, eines Kollektivs von Musikern, die seit Jahren beharrlich und selbstverwaltend ihre Kunst konzertant und CD-mäßig in die Öffentlichkeit tragen, ist er auch bei der Band 5/8erl in Ehr’n an wichtiger Stelle zugegen.

JazzWerkstattWien

Natürlich ist Wenger im Jazz ebenso firm, also insgesamt einfach einer jener stiloffenen Zeitgenossen, die aktuelle Strömungen und Sounds in ihre Welt integrieren. Neapel funktioniert denn auch auf mehreren Levels. Das Album bietet in seiner entspannten Art zum einen reichlich Freiraum, einen imaginären Film herbeizufantasieren. Der Mann empfiehlt sich eindeutig und dringend für das Komponieren von Soundtracks.

Ebenso existieren jedoch Momente der schrägen Verdichtung, des bewussten Geräuscheinsatzes, oder es tauchen Ideen als klassisch angehauchte Kammermusik auf. Wie auch ganz anderes möglich ist: Elektronisch generierte komplexe Clubsounds treten auf, über die Wenger fantasiert. Ein Stück wie Airport Titanic wäre hervorzuheben.

Das Titelstück selbst, also Neapel, kommt wie eine kleine urbane Impression daher. Akustische Alltagsszenen, umrahmt von Streichern, laden zum Verweilen ein, Melodien verflüchtigen sich, ein Italoschlager tritt auf … alles wirkt so malerisch wie interessant und durchdacht.

Bei aller Diskretion der Grundstimmung ist Keyboarder Wenger also eine musikalische Szenenfolge von beachtlicher Stil- und Ausdrucksvielfalt gelungen, eine eigene und eigenwillige Soundwelt, ein intimer Klangkosmos, der voller Details und überraschender Assoziationen ist und das improvisierende Echtzeitmusizieren dann auch nur zwischendurch gestattet.

Gut so. Dieses Musikgemälde bedarf keiner ausgiebigen Improvisationen; sie würden die Tektonik des Ganzen nur aus der Balance bringen. (toš, Rondo, 15.4.2016)