Wer mangels Geld nicht mitspielen kann, hat gute Chancen, zum Außenseiter zu werden. Den sozialen Aufstieg erleichtert das naturgemäß nicht.

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Wien – Kaum Wirtschaftswachstum, stagnierende Einkommen, Rekordarbeitslosigkeit: Gefühlt geht es den Menschen in Österreich immer schlechter. Dass es immer mehr Arme gibt, gilt vielen als erwiesen. "Tatsächlich sind in Österreich mehr als 1,5 Millionen Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen", sagt Statistik-Austria-Chef Konrad Pesendorfer bei der Präsentation der entsprechenden Zahlen aus dem Vorjahr. Das sind immerhin 18,3 Prozent der Bevölkerung.

Die Risikogruppe zeichnet sich durch geringe Einkommen, erhebliche Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen oder eine niedrige Erwerbsbeteiligung aus. 385.000 Menschen zählen zu den "Mehrfach-Ausgrenzungsgefährdeten", die mindestens von zwei der drei Merkmale betroffen sind.

Der genaue Blick auf die Statistiken zeigt zweierlei: Einerseits tut das Sozialsystem hierzulande seinen Dienst. Österreich hat die jüngsten Krisenjahre ohne Anstieg der Armut überstanden. Seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2008 hat sich die Zahl um 148.000 Personen auf 20,6 Prozent reduziert. Österreichs Chancen, bis 2020 entsprechend dem EU-Ziel weitere 235.000 Personen aus der Gefährdungszone zu bekommen, sind laut Pesendorfer intakt. Im EU-Vergleich liegt Österreich laut EU-Statistik unter dem Durchschnitt von 24,5 Prozent.

Risikogruppen

Für Martin Schenk, einen der ausgewiesensten Sozialexperten im Land, lohnt aber auch ein zweiter Blick – weiter zurück. Da wendet sich das Blatt keineswegs in allen Bereichen zum Besseren: In der Kategorie der Armutsgefährdeten erfasst die aktuelle Statistik 13,9 Prozent. 2008 waren es noch 15,2 Prozent, die Armutsgefährdung ging damit also seither zurück. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des typischen Einkommens (Median) – in Österreich 23.260 Euro pro Jahr – hat. 2005 lag der Anteil mit 12,6 Prozent aber niedriger. "Von Entspannung kann man nicht reden", sagt Schenk dem STANDARD. Zu den Risikogruppen zählen Alleinerzieher, kinderreiche Familien, Langzeitarbeitslose, Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, gering Qualifizierte. "Daran ändert sich seit Jahren nichts. Da haben wir strukturelle Defizite, siehe fehlende Bildungsmobilität", sagt Schenk.

Was ihm auch Sorgen macht: Fast ein Viertel der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten sind mit 380.000 Personen Kinder und Jugendliche. Gut ein Drittel kann nicht an Aktivitäten wie Sportkursen teilnehmen, von Urlaub gar nicht zu reden. "Da muss man vor allem bei der Diskussion um die Deckelung der Mindestsicherung aufpassen. Es geht um Teilhabe und die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg." Schenk befürchtet für heuer eine negative Entwicklung, nicht nur angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit, sondern auch wegen der verstärkten Migration. "Von den neu angekommenen Flüchtlingen dürften viele in den Risikogruppen landen." (Regina Bruckner, 15.4.2016)