Massive Finanz- und Verteilungsprobleme im heimischen Gesundheitssystem, chronische Überlastung des (Spitals-)Personals bei anhaltenden Debatten über einen Zusammenbruch im Gesundheitssystem. Andererseits (Kassen-)Ärztemangel und erschöpfte Organisationen, anstehende Pensionierungswellen, fehlende Allgemeinmediziner, eine multimorbide alternde Bevölkerung mit geringer Gesundheitskompetenz. Was heißt das für Absolventinnen und Absolventen der Wiener Medizin-Uni?
Viele Missstände
Die Karrieretage an der Wiener Med-Uni am Freitag und Samstag der Vorwoche haben mit Zuspitzung und Dramatik nicht gespart: "Belastungsgrenze erreicht – steht das Gesundheitssystem vor dem Kollaps?", lautete der Titel des Podiumsgesprächs. Teile des Systems, die gegeneinander ausgespielt werden, Systeme des Machterhalts – der unabhängige Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer und die Obfrau der (neuen) Ärztegewerkschaft Asklepios, Anna Kreil, liegen in ihrer Systemanalyse nicht weit auseinander: allgemein diskutierte Missstände, die jahrelang von der sogenannten Medizinerschwemme überdeckt waren. Diese hat sich durch Aufnahmeverfahren, durch Abwanderung der Ausgebildeten, in einen gegenteiligen Trend umgekehrt.
Europäisches Mangelthema
Das sei ein europäisches Problem, kein österreichisches, sagt der Präsident der Salzburger Ärztekammer, Karl Forstner. Hunderttausende Pflegekräfte und zigtausende Ärzte würden in den kommenden Jahren europaweit fehlen, zitiert er Studien. "Ich gratuliere Ihnen zur beruflichen Wahl", ruft Forstner den Studierenden zu. "Sie können wählen, wir müssen die Bedingungen schaffen, dass Sie hier bleiben wollen." Es gehe nicht nur um die Bezahlung, sondern um das ganze Paket der Arbeitsbedingungen. Auch um Transparenz für Möglichkeiten und Karrierewege. Work-Life-Balance in der Gesundheitsbranche?
Geänderte Ansprüche an Arbeitgeber
Forstner ist überzeugt, dass allein die Tatsache, dass 60 Prozent der Absolventen weiblich sind, andere Ansprüche an Organisationen im Gesundheitsbereich bringen werde. Da gebe es einiges aufzurüsten, sagt Gesundheitsökonom Pichlbauer und beruft sich auf Standards im benachbarten Ausland, etwa Expatriate-Services auch für Mediziner und deren Familien. Flexibilisierung könne nicht nur aufseiten der Arbeitgeberinteressen bestehen, kritisiert Intensivmedizinerin Kreil mangelnde Öffnung der Organisationen.
Dass sogenanntes Employer-Branding im Gesundheitsbereich noch viel Luft hat, zeigen auch die Stellungnahmen der HochschülerInnenschaft: Mangelnde Informationen von möglichen Arbeitgebern, aber auch vonseiten der Standesvertretung Ärztekammer wird deutlich kritisiert. Konkret: Wie weit können die Jungen gestalten, wie viel Druck können sie sich erlauben?
Jungmediziner sollen fordern
"Fordern Sie ein, Sie werden es bekommen. Stellen Sie sich auf die Füße, Sie haben bessere Chancen als ihre Vorgängergenerationen, sie können etwas bewegen", schmettert Forstner dem Publikum entgegen.
"Fordern Sie die bestmögliche Ausbildung ein und drohen Sie ihrem Chef mit Kündigung – Jungärzte sind so begehrt, dass man sie sehr wahrscheinlich dort hinsetzen wird, wo sie arbeiten wollen", stärkt Pichlbauer das Selbstbewusstsein weiter.
Die Macht der Ärzte werde noch unterschätzt, stimmt Kreil zu und motiviert die Zuhörer in ihrer Gewerkschaftsfunktion: "Sie haben sehr, sehr gute Chancen in Österreich, aber es gilt, für die Rahmenbedingungen zu kämpfen." Rechtlich wie monetär. (kbau, 19.4.2016)