Bild nicht mehr verfügbar.

Das wirklich Erstaunliche, wenn man mit dem Rad in Rom unterwegs ist: Niemand hupt und keiner nörgelt. Dabei können die Römer schimpfen wie die Rohrspatzen. Radfahrer sind in Rom so selten, dass sie offensichtlich Narrenfreiheit genießen.

Foto: REUTERS/Alessandro Bianchi

Ab Anfang Mai können sich Freizeitradler beim 99. Giro d’Italia wieder einen Gusto holen: Wie fein wäre es doch, diese herrlichen Landschaften einmal selber, gemütlicher radelnd zu durchqueren? Es wird vermutlich selbst nach der 100. Auflage des Radrennens noch ungemütlich bleiben. Es gibt nämlich kaum echte Radwege in Italien.

Erst Ende Februar hat die Regierung beschlossen, Nord- und Süditalien nach dem Vorbild der "Autostrada del Sole" mit einem eigenen Wegenetz für Radfahrer zu verbinden. Allerdings wird es wohl noch mindestens drei Jahre dauern, bis man auf diesen von Venedig bis zur apulischen Stadt Lecce kommt. Und innerhalb Roms? Sieht es da besser aus?

Alle Radwege nach Rom

Bereits seit 2006 exisitieren ein Radweg entlang des Tiber, der die Stadt komplett durchquert, und ein paar kurze innerstädtische Routen; geplant ist zudem eine 44 Kilometer lange Umfahrung der Hauptstadt, wenn erst einmal alle Radwege nach Rom führen. "Straßenrennen" zwischen den Autos bleiben aber vorerst die Regel.

Sonntags ist der Verkehr in Rom wie in Wien zur Rush Hour unter der Woche. Die Straßenpolizisten fuchteln mit den Armen und wollen regeln, was nicht zu regeln ist. Rote Ampeln sind dekorativ, aber häufig zwecklos. Radler fühlen sich wie mitten in einem Bienenschwarm, überall brummt es, im Hirn summt es. Dennoch hat es Vorteile, als einer unterwegs zu sein, den es eigentlich gar nicht gibt: als römischer Fahrradfahrer.

Näher am Geschehen

Beim Selbstversuch an einem beliebigen Wochenende begegnet man in der Regel nicht mehr als zwei Dutzend anderen Radlern. Dabei ist man im Sattel sitzend besonders nah dran an der Stadt. Nicht nur an ihren Blechlawinen, sondern auch am Geschehen, an maroden Palazzi in engen Gassen ebenso wie an den verführerischen Eissalons.

Schnell einmal abbiegen, ist nirgendwo ein Problem. In den Circus Maximus etwa, wo einst Wagenrennen vor mehr als 100.000 Besuchern stattfanden, dreht man mit dem Rad gemütlich seine Runden. Und geparkt wird selbstredend direkt vor Sehenswürdigkeiten wie Petersdom, Pantheon oder Kolosseum.

Wen das Straßengewirr der Innenstadt müde macht oder vom angepeilten Ziel abbringt, wird bald Fußgängerzonen und Einbahnstraßen gegen die Fahrtrichtung befahren. Auch Fahrzeuge der Carabinieri kommen einem dabei entgegen. Als Radfahrer bekommt man allerdings das Gefühl vermittelt, man werde nicht einmal ignoriert.

Unwürdige Aufgabe

Die Augen hinter den schwarzen Sonnenbrillen interessieren sich für niemanden mit nur zwei Rädern und ohne Motor. Für die Schwarzhosen mit dem eleganten roten Nahtstreifen ist der Straßenverkehr unwürdig, denn eigentlich gehört man als Carabinieri ja dem Militär an. Doch selbst die Straßenpolizei stört sich nicht daran, wenn man sich den Weg zur Spanischen Treppe durch das Gewühl der Fußgängerzone radelnd bahnt. Denn Fahrradfahrer existieren hier halt einfach nicht.

Fragt man eine der vielen römischen Polizistinnen mit ihren weißen Schiffchenmützen nach dem Weg – etwa zur Piazza Navona, die gut versteckt im barocken Stadtviertel Parione liegt –, bekommt man Auskünfte wie diese: "Das ist ein wenig kompliziert. Fahren Sie am besten durch diese Straße. Das ist am einfachsten!" Dabei deutet deutet die Polizistin wohlgemerkt gegen die Fahrtrichtung einer Einbahnstraße und wünscht noch höflich "una buona giornata".

Das wirklich Erstaunliche daran ist: Niemand hupt und keiner nörgelt. Dabei können die Römer schimpfen wie die Rohrspatzen. Radfahrer sind in Rom so selten, dass sie offensichtlich Narrenfreiheit genießen. Man braucht nur etwas Mut dazu, sich seinen Weg durch die Ewige Stadt zu bahnen. (Jochen Müssig, 19.4.2016)