Nikolaus Harnoncourt und Stefan Gottfried bei Proben zu Mozart.


Foto: Werner Kmetitsch

Wien – Manch einer, der bei einem seiner Konzerte im Mai letzten Jahres im Großen Musikvereinssaal dabei war, ahnte, dass dies vielleicht sein letzter Auftritt hier sein könnte. Eine intensive, schmerzende Abschiedsstimmung war im langanhaltenden Schlussapplaus nach Beethovens Fünfter zu spüren.

Nun traf man sich vergangenen Samstagabend an selber Stelle wieder – zum Gedenkkonzert für den im März dieses Jahres verstorbenen Nikolaus Harnoncourt, und die Anzahl der Personen mit feuchten Augen und wunden Herzen im Saal war wohl noch etwas höher als vor einem knappen Jahr. Zur Erinnerung an den Ausnahmekünstler hatte man zwei Werke Wolfgang Amadeus Mozarts ausgesucht, in denen sich dieser offenbarte, in denen er ausnahmsweise hinter die Kulisse des immer heiteren, unterhaltsamen Musikgenies blicken ließ: seine g-Moll-Symphonie und sein Requiem.

Stefan Gottfried, der neue künstlerische Leiter des Concentus Musicus, stürzte sich ohne Vorrede (und ohne Alice Harnoncourt am Konzertmeisterpult) in das Werk, in die Gegensätze von sanft wiegender Trauer und schroffen Ausbrüchen des Schmerzes. Schwer wurde es für alle beim wunderschönen Andante (bei Gottlieb fast ein Andantino), widerborstig das Menuetto, schroff der Finalsatz. Dafür hatte Harnoncourt ja immer gekämpft in seinen Mozart-Interpretationen: gegen alle weichgespülten Wohltemperiertheiten, für einen Mozart-Klang von körperlicher Intensität, dem man die Kampfspuren des Lebens anhörte.

Es war ein Abend, an dem man jedoch nicht immer zuhörte, sondern auch zurückdachte, sich erinnerte, eine schmerzende Leerstelle fühlte. So nah Gottfried Harnoncourt in seiner Mozart-Deutung ist, so unähnlich ist der 1971 in Wien geborene Musiker seinem verstorbenen Mentor in Charakter und Auftreten: War dem Reibebaum Harnoncourt das Charisma eines feuerzüngigen Propheten zu eigen, der wie eine Fackel Licht in das Dunkel unüberlegt übernommenen Musizierens bringen wollte, so scheint Gottfried ein eher introvertierter Botschafter der Musik zu sein und diese für sich selbst sprechen lassen zu wollen.

Nach der Pause dann das Requiem, mit dem Arnold-Schönberg-Chor und vier engen Mitgliedern von Harnoncourts Musikfamilie als Solisten: mit Gerald Finley als gütigem Paterfamilias, mit Michael Schade als glänzend drängendem Jungspund, Bernarda Fink als Mater dolorosa und Julia Kleiter als souveräner Königin. Ein Mehr an vokaler Schönheit ist wohl nicht möglich, der Arnold-Schönberg-Chor war ganz Elastizität und Differenziertheit.

Das Bild des Todes hätte nichts Erschreckendes mehr für ihn, schrieb Mozart 1787 an seinen Vater, sondern viel Beruhigendes und Tröstendes. Traurig macht so ein Tod aber trotzdem. (Stefan Ender, 18.4.2016)