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In Delaware gibt es viele Briefkästen. Die schauen zwar nicht alle so schön aus wie dieser, bieten aber zumindest Diskretion.

Foto: reuters / macgregor

Nichts an dem Haus an der 1209 North Orange Street, im Geschäftsviertel von Wilmington im US-Bundesstaat Delaware ist auffällig. Zwei Stockwerke hoch, eine Fassade aus roten Backsteinen. Neben der Eingangstür hängt ein Firmenschild mit der Aufschrift "CT". Eine Klingel gibt es nicht – aus gutem Grund. Sollten die Kunden des Unternehmens einmal auf die Idee kommen, hier persönlich vorbeizuschauen, wird es schnell eng. 1209 Orange Street ist der Sitz von 290.000 Firmen.

Delaware gilt als eine der größten Steueroasen der Welt, als die Heimat der US-Briefkastenfirmen. In diesem Bundesstaat leben eine Million Menschen, die Zahl der registrierten Unternehmen ist höher. Wilmington, an drei Highways zwischen New York, Philadelphia und Washington gelegen, ist das Finanzzentrum des Staates. Bürogebäude reihen sich aneinander, die großen Anwaltskanzleien und Banken haben hier ihre lokale Zentrale. Wilmington ist der Briefkastenschlitz, wenn man so will. Wie aber funktioniert die Steueroase Delaware, und was sagen die Menschen dazu, die hier leben und täglich an der North Orange Street vorbeigehen?

Schick in der City

Es ist Freitagabend, Jesse Bledwin (33) ist auf dem Heimweg. Er arbeitet unweit der Orange Street für eine Firma, die Botendienste für Anwälte erledigt. Wie viele andere an diesem Abend wird er sagen, dass er gern in Wilmington lebt.

Die Stadt hat zwar keinen guten Ruf, die Mordrate liegt im landesweiten Vergleich über dem Durchschnitt. Aber wie so oft in Amerika sind Armut und Gewalt in einigen heruntergekommenen Vierteln konzentriert, "am Stadtrand", sagt Bledwin. Die Downtown-Gegend hingegen ist schick mit kleinen Geschäften und Cafés. Man merkt, dass die Durchschnittsgehälter hier über dem US-Schnitt liegen.

Seit der Veröffentlichung der Panama Papers berichten auch US-Medien über Steueroasen. Bledwin sagt, er habe gehört, dass Delaware "da irgendwie" mitmischt. Aber über das Ausmaß ist er überrascht. "290.000 Unternehmen sitzen in diesem Haus. Meine Sie das ernst?"

Die bisher umfassendste Studie über das Modell Delaware stammt von Scott Dyreng, einem Ökonomen an der Duke University. Er und Kollegen haben untersucht, wo große US-Aktiengesellschaften Subunternehmen gründen.

Der Patenttrick

Sie fanden heraus, dass landesweit die Hälfte aller Tochtergesellschaften im Ministaat Delaware registriert sind. Acht Subgesellschaften unterhalten die großen US-Konzerne hier im Schnitt.

In dem Bundesstaat sind außerdem mehr Patente eingetragen als sonst wo in Amerika. Der Trick funktioniert so: Eine Firma aus New Jersey meldet zum Beispiel über eine Delaware-Tochter ein Patent für ein Spielzeug an. Sie zahlt dafür eine Lizenzgebühr nach Delaware, was den Firmengewinn in New Jersey schmälert.

In Delaware fallen auf die Lizenzgebühr keine Steuern an. Zwischen sechs und acht Millionen Dollar ersparen sich Unternehmen mit dem Trick, so der Ökonom Dyreng. Coca-Cola, Ford, General Eletric, Google und Toys "R" Us sind deshalb alle in Wilmington. Delaware profitiert von diesem System, weil für eingetragene Unternehmen jedes Jahr eine kleine Gebühr zu entrichten ist.

Aber diese legale Steueroptimierung ist nur ein Teil der Geschichte. Wer den Rest hören will, muss mit Rob reden. Er ist Informatiker, seinen echten Namen will er nicht in der Zeitung sehen. Um seine Firma in Wilmington zu gründen, hat er kaum eine Stunde gebraucht: "Online ein Formular ausfüllen, auf Senden drücken, und los geht's", sagt er. Wie Rob erzählt, ist dieser Prozess in jedem US-Bundesstaat ähnlich unkompliziert.

Doch in Delaware ist das Besondere, dass die Behörden Firmengründer nicht nach Eigentümern fragen. Es reicht, wenn eine hiesige Gesellschaft sich als "filing agent" angibt. CT, das Kürzel steht für Corporation-Trust, ist Marktführer auf dem Gebiet in Wilmington. Das Unternehmen, das der niederländischen Gesellschaft Wolters Kluwer gehört, haftet zwar dafür, dass nicht die Mafia lauter Briefkastenfirmen eintragen lässt, behördlich nachprüfen lässt sich das jedoch nur selten, sagen Experten.

Durch Delawares Intransparenz entgehen anderen Ländern, besonders ärmeren, Milliarden an Steuereinnahmen, kritisiert die NGO Tax Justice Network. Gäbe es ein Register für alle Eigentümer von Briefkastenfirmen und würden die USA diese Daten international zugänglich machen, ließe sich das ändern.

Nichts zu melden in Delaware

Warum geschieht dann nichts? Diese Frage führt zu Lesli Felix. Die brünette Mittvierzigerin ist Barkeeperin im Restaurant Mezzanotte. Die Banker und Anwälte aus Wilmington kommen für ihre Geschäftsessen hierher.

Felix kennt das Haus an der Orange Street und weiß von den Briefkastenfirmen dort. Sie hat in den TV-Nachrichten mitverfolgt, dass einige europäische Länder seit der Veröffentlichung der Panama Papers mehr Transparenz von den USA verlangen. US-Finanzminister Jack Lew hat bei einer Finanztagung in Washington vergangene Woche sogar zugesagt, ein landesweites Register zu schaffen. "Doch daraus wird nichts", sagt Felix.

"Ihr Europäer versteht nicht, wie dieses Land funktioniert. Die Regierung in Washington kann zusagen, was sie will, bei uns in Delaware hat sie nichts zu melden."

Tatsächlich wurde im US-Senat vom Demokraten Carl Levin aus Michigan seit dem Jahr 2000 bereits dreimal ein Gesetz eingebracht, das landesweit Transparenzregister hätte schaffen sollen. Laut New York Times wurde das Regelwerk bisher nicht einmal im Senat diskutiert, weil es immer in irgendeinem Fachkomitee von Senatoren blockiert wurde. Dieses Schicksal dürfte auch Lews neuer Vorstoß nehmen.

Um zu verstehen, warum, muss man sich das Gesamtbild ansehen. Fast alle Bundesstaaten bieten im Wettbewerb um Investments irgendwelche Steuergeschenke an. In neun, darunter Florida und Alaska, zahlen Bürger keinen Cent Einkommensteuer. In Nevada gibt es keine Körperschaftsteuern. In Montana oder New Hampshire keine Mehrwertsteuer.

Viele Amerikaner nutzen dieses System, um Abgaben zu sparen: In Miami etwa legen sich viele reiche Sportler eine Ferienvilla zu, um ihr Einkommen in Florida melden zu können. "Die 50 Staaten schaden sich gegenseitig. Mit dieser Praxis will man einander die Einnahmen abgraben", sagt Matt Gardner, ein Washingtoner Steuerexperte.

Gegenseitiger Schutz

Die meisten lokalen Regierungen von Delaware bis Kalifornien sehen das anders. Sie glauben an das System, meint Gardner. "Wenn einer am Pranger landet, könnte das allen passieren. Darum schützt man sich gegenseitig."

Was könnte die Einstellungen von Wählern und damit Politikern ändern? Barkeeperin Felix sagt, Briefkastenfirmen gehörten verboten. Aber die Initiative dazu müsste aus Delaware, nicht von den "Bürokraten" in Washington kommen. Der Informatikunternehmer Rob sieht das so: Jene Menschen, die in einer Steueroase lebten, hätten mit ihr das geringste Problem, weil sie nicht die Leidtragenden der Schwarzgeldkonten seien. "Darum waren die Briefkastenfirmen in Wilmington bisher kein großes Thema. Wenn einmal ein großer Skandal bei uns auffliegt, würde sich das ändern."

Die Stadt Wilmington mit ihren rund 70.000 Einwohnern ist das Finanz- und Geschäftszentrum des US-Bundesstaates Delaware. Viel zu sehen gibt es für Touristen nicht, dafür lassen sich hier diskret alle möglichen Transaktionen abwickeln. Foto: Corbis

Ihr Europäer versteht nicht, wie dieses Land funktioniert. Die Regierung in Washington hat bei uns nichts zu melden. (András Szigetvari aus Wilmington, 19.4.2016)