Wenn es darum geht, der Armut zu entkommen, zahlt der Wald drauf. Je mehr die Einkommen steigen, desto mehr Bäume werden gerodet. Werden die Menschen reicher, erholen sich die Wälder wieder, wie Wiener Forscher nun bewiesen haben.

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Wien – Oft wird der ökonomische Aufstieg von Staaten mit massiven Eingriffen in deren Naturressourcen erkauft. Ökonomen der Wirtschaftsuniversität Wien rund um Jesus Crespo Cuaresma konnten nun erstmals die Theorie bestätigen, wonach arme Länder im Zuge ihres Wirtschaftswachstums erst ihre Waldflächen massiv verkleinern, bevor sich der Baumbestand bei einem bestimmten Pro-Kopf-Einkommen einpendeln kann.

Will man den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und ungleicher Einkommensverteilung grafisch darstellen, erhält man für den Verlauf der Ungleichheit ein auf dem Kopf stehendes U. Das bedeutet, dass die ökonomische Ungleichheit während der Entwicklung eines Landes zuerst deutlich ansteigt, danach aber wieder abfällt. Dieser empirische Zusammenhang wurde von Simon Smith Kuznets entdeckt, was dem umgedrehten U die Bezeichnung Kuznets-Kurve einbrachte.

Die wachsende Ungleichheit in den OECD-Staaten seit den 1980er-Jahren hat zwar den Zweifel an der Allgemeingültigkeit dieser Formel genährt, dennoch sorgt die Kuznets-Kurve noch immer für Diskussionen unter Wirtschaftswissenschaftern. Mittlerweile vor allem in Hinblick auf die Umwelt.

So haben Forscher versucht, anhand von Kuznets' Theorie einen Zusammenhang zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen eines Landes und dem Grad der dort herrschenden Umweltverschmutzung herzustellen. Die Hypothese der "Environmental Kuznets Curve": Die Emissionen von Umweltschadstoffen nehmen in einer sich entwickelnden Volkswirtschaft bis zu einem Gipfel zu, danach sinken sie mit dem weiter ansteigenden Pro-Kopf-Einkommen wieder ab.

Grafisch umgesetzt sollte sich also ein auf dem Kopf stehendes U zeigen. Eine solche Kuznets-Kurve gibt es seit Ende der 1990er-Jahre auch für den Waldverbrauch. Dieser Theorie zufolge holzen arme Länder im Zuge ihres wirtschaftlichen Aufstiegs zunächst große Waldflächen ab. Ist ein gewisses Einkommenslevel erreicht, bleibt der Waldbestand aber in etwa gleich oder wächst sogar wieder.

Bisher konnte diese Hypothese von der Wissenschaft jedoch nicht stichhaltig untermauert werden. Dem gebürtigen Spanier Jesus Crespo Cuaresma von der WU Wien gelang es nun erstmals, die Theorie auf eine empirische Datenbasis zu stellen. "Unsere Ausgangsfrage war, wie viele Bäume für den wirtschaftlichen Aufschwung eines Landes gefällt werden und wie das Pro-Kopf-Einkommen mit der Abholzung zusammenhängt", sagt der Leiter des WU-Instituts für Makroökonomie.

Um zuverlässige Daten zu bekommen, brauchten die Forscher aber vergleichbare klimatische und geologische Situationen in unterschiedlichen Staaten. In Kooperation mit Geologen und Fernerkundungsexperten vom International Institute for Applied Systems Analyses (IIASA) hat der Ökonom deshalb die Wälder an sämtlichen Ländergrenzen weltweit anhand von Satellitenbildern analysiert. "Wir haben uns die Regionen 50 Kilometer dies- und jenseits der Grenze angesehen, um vergleichbare Gebiete herauszufiltern."

Wendepunkt zum Wohlstand

Auf diese Weise konnten die Einkommensveränderungen in den einzelnen Ländern mit den jeweiligen Waldstrukturen und Abholzungsraten in Verbindung gebracht werden. Es zeigte sich: "Arme Länder, deren Wirtschaft wächst, weisen eine intensive Abholzung auf", sagt Crespo Cuaresma. "Erreichen sie aber ein gewisses Einkommensniveau, stagniert die Abholzung, und man erkennt sogar ein leichtes Wachstum des Waldes."

Dieser Wendepunkt liegt bei einem Pro-Kopf-Einkommen von etwa 5500 Dollar (rund 4900 Euro) – bereinigt nach Kaufkraft. Dann werde der Wald nicht mehr in der gleichen Intensität als Energielieferant und Handelsressource genutzt. Außerdem können wohlhabendere Menschen auch leichter ein gewisses Umweltbewusstsein entwickeln, vermuten die Forscher.

Angesichts der katastrophalen Folgen der Waldvernichtung vor allem in den tropischen Regionen der Welt stellt sich die Frage, ob die exzessive Abholzung den einzigen Weg aus der Armut darstellt. Und ob eine Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts tatsächlich der gesamten Bevölkerung zugutekommt oder nur bestimmten Gruppen, was die soziale Ungleichheit wiederum verstärken würde.

Fragen, die sich auch Crespo Cuaresma aufgedrängt haben. "In diesem Projekt ging es um das Erheben von zuverlässigen Daten. Nun können wir immerhin mit Sicherheit sagen, dass auf dem Weg aus der Armut Wälder zerstört werden und dass mit wachsenden Einkommen der Waldverbrauch später wieder zurückgeht."

Befreiung aus der Armut

Ob sich Länder auch ohne diese radikale Naturzerstörung aus der Armut befreien können und wie die Abholzung mit der Verteilung von Einkommen und Besitz zusammenhängt, möchte der Makroökonom nun in Folgeprojekten untersuchen. Was sich aus den bisherigen grundlegenden Erkenntnissen der interdisziplinären Forschungskooperation ableiten lässt: Der Preis für wirtschaftlichen Aufstieg kann, wie immer die Einkommen verteilt sind, in gefällten Bäumen ausgedrückt werden und wirkt sich damit auch auf die Klimadaten aus. "Selbstverständlich muss man sich anschauen, was genau hinter der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes steht."

Steigt etwa die Exportrate stark an, während die Versorgung der heimischen Bevölkerung nicht gewährleistet ist? Wird Wald gerodet, um verstärkt Fleisch oder Biotreibstoffe auszuführen? "Steigt das Bruttoinlandsprodukt eines Landes, durchlebt es viele strukturelle Änderungen", sagt Crespo Cuaresma. "Deshalb haben wir uns neben dem Einkommen auch andere Variablen angeschaut: etwa den Exportanteil von Agrarprodukten."

Damit lasse sich nachweisen, dass Länder, die mehr Agrargüter exportieren, auch eine durchschnittlich höhere Abholzung aufweisen. Letztlich hängt es also von der Handels- und Wirtschaftspolitik ab, auf welche Art eine Volkswirtschaft reicher wird. Hier gilt es Alternativen zur Naturzerstörung aufzuzeigen. Das dafür nötige Forschungsdesign zumindest steht. (Doris Griesser, 20.4.2016)