Die Zeit läuft im Wettbewerb um die Entwicklung einer Atomkernuhr, die noch präzisere Zeitmessungen verspricht als jede andere Uhr. Den Takt vorgeben soll Thorium-229, ein Isotop, das extrem selten und schwer zu bekommen ist.

Foto: Schumm

Wien – Thorium-229 ist ein Material, das quasi nicht existiert, so selten ist es. Es ist ein kurzlebiges Isotop des Metalls Thorium (das übrigens nach dem Donnergott Thor benannt ist) und kann nur künstlich hergestellt werden. "Weltweit gibt es nur weniger als ein Gramm", sagt Thorsten Schumm. Kein Wunder, dass Schumm und seine Kollegen am Atominstitut der TU Wien froh um jedes einzelne Atom sind, mit dem sie arbeiten können. "Wir nehmen alles, was wir bekommen können", sagt der Physiker. "Das funktioniert nur über wissenschaftliche Kooperationen."

Mithilfe der Atomkerne von Thorium-229 will Schumm nämlich eine Uhr entwickeln, die alle anderen noch so präzisen Atomuhren in ihrer Genauigkeit übertreffen soll. Man sieht: Es geht hier um minimalste, für die meisten Menschen kaum fassbar kleine Größenordnungen.

Pendelnde Atome

Wie bei jeder anderen Uhr werden auch bei Atomkernuhren Schwingungen gemessen. Was bei einer mechanischen Uhr etwa ein periodisch schwingendes Pendel ist, ist bei einer Atomuhr ein schwingendes Atom. Die Schwierigkeit dabei besteht darin, jene Lichtfrequenz zu finden, die bei dem Atom eine Resonanz auslöst. Dabei wird ein Elektron des Atoms per Laser dazu angeregt, das Licht zu absorbieren und sich von einem in ein anderes Energieniveau zu bewegen. Ist der Lichtimpuls vorbei, fällt es wieder in den ursprünglichen Zustand zurück und sendet Licht aus.

Diese Unterschiede lassen sich messen: Eine Sekunde wird definiert durch jene Zeiteinheit, in der das Licht des Übergangs zwischen zwei Zuständen des Cäsium-133-Atoms exakt 9.192.631.770-mal schwingt. "Die Genauigkeit ist umso höher, je öfter ein Atom schwingt", erklärt Schumm. Bisher messen Atomuhren die Schwingungen in der Atomhülle. Doch innerhalb von Atomkernen ist die Schwingungsfrequenz noch einmal deutlich höher.

Doch wozu noch genauere als die genauesten Atomuhren bauen, wenn Letztere ohnehin erst nach Milliarden Jahren um eine Sekunde vor- oder nachgehen? "Die heutigen GPS-Navigationssysteme basieren auf einem veralteten Typ von Atomuhren, die auf eine Genauigkeit von ein bis zehn Metern kommen", sagt Schumm. "Für autonome Autos oder Güterverschiebungen im Frachtverkehr ist aber eine Genauigkeit im Zentimeter- bzw. Millimeterbereich notwendig."

Außerdem könne man mit derartigen Atomkernuhren grundlegenden physikalischen Fragen nachgehen: etwa, ob die Kräfte konstant sind, die im Inneren des Atoms – und darüber hinaus – alles zusammenhalten, oder sich kleinste Verschiebungen messen lassen. "Es gibt theoretische Berechnungen, dass sich der Takt in Abhängigkeit von Gravitation und Geschwindigkeit ändern kann", sagt Schumm.

Ähnlich wie bei der sensationellen Entdeckung von Gravitationswellen Anfang des Jahres könnten auch wesentlich genauere (Zeit-)Messgeräte minimale physikalische Veränderungen innerhalb von Atomen ans Licht bringen.

Das seltene Thorium-229-Isotop bietet sich deshalb an, weil die Energielevels in seinem Kern relativ niedrig sein dürften, was eine Messung per Laser ermöglicht. Außerdem dauert es verhältnismäßig lang, bis der Atomkern vom angeregten Zustand in seinen Grundzustand zurückkehrt – was eine präzise Messung der Strahlung erleichtert. Das Problem dabei: Niemand hat je die Energiedifferenz beim Übergang vom einen in den anderen Zustand noch dessen Dauer beobachtet.

Die innere Uhr finden

Genau das will Thorsten Schumm ändern: "Es ist nicht bekannt, mit welcher Frequenz man den Kern anstoßen muss, um eine Resonanz zu erzeugen. Wir wissen also noch nicht, wie schnell unsere Uhr ticken wird." Der gebürtige Berliner hat mit seinen Forschungen bereits beeindruckt: 2009 wurde ihm der Start-Preis des Wissenschaftsfonds FWF verliehen, ein Jahr später folgte ein Starting-Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC). Im Vorjahr wurde das aktuelle, von der TU Wien geleitete internationale Projekt "nuClock" mit vier Millionen Euro von der EU gefördert.

Es sind zwar winzige Zeiteinheiten, denen die Forscher auf der Spur sind, Ausdauer ist aber dennoch gefragt bei der Entwicklung einer neuen Generation von nuklearen Uhren: Derzeit läuft das mühsame Abtasten der verschiedenen Lichtfrequenzen. "Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagt Schumm. Die auch von einer Handvoll weiterer Forschungsinstitute betrieben wird. Wer den Wettlauf um die richtige Schwingung gewinnt, wird sich zeigen. Ist sie einmal gefunden, wäre die Entwicklung einer Uhr relativ einfach – zumal Atomkernuhren im Gegensatz zu herkömmlichen Atomuhren weit weniger empfindlich für Störungen wären. Noch ist aber offen, wann Thoriumuhren tatsächlich den Takt angeben werden. (Karin Krichmayr, 24.4.2016)