Wien – Einer ist sogar einstimmig gewählt worden. Das war Karl Renner am 20. Dezember 1945: Durch das tags zuvor verabschiedete Zweite Verfassungs-Überleitungsgesetz wurde es der jungen Zweiten Republik ermöglicht, einen Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung (also Nationalrat und Bundesrat) wählen zu lassen. Damit wurde dem vom Krieg geschwächten und von materiellen Sorgen gedrückten Wahlvolk ein zweiter Urnengang – nach der Nationalratswahl vom 25. November 1945, die der ÖVP 49,8 Prozent der Stimmen gebracht hatte – binnen kurzer Zeit erspart.

Man entschied sich für Ausgleich: Der erst 43-jährige Bauernbündler Leopold Figl bildete eine Konzentrationsregierung mit Sozialisten und Kommunisten. Der Sozialist Renner, der seit der Wiedergründung der Republik als Staatskanzler die Regierungsgeschäfte geführt hatte, wurde zum Bundespräsidenten gewählt. Einstimmig.

Neue Amtsräume

Es war Renner, der – anders als die Bundespräsidenten der Ersten Republik, die in einem Hintertrakt des Bundeskanzleramts amtiert hatten – die Amtsräume im Leopoldinischen Trakt der Hofburg für sich beanspruchte und dem Amt jene Prägung gab, die man später als "Ersatzkaiser" bezeichnet hat. Als Renner am 31. Dezember 1950 starb, waren die Parteien uneinig, ob man den nächsten Bundespräsidenten (wie eigentlich in der Verfassung von 1929 vorgesehen) vom Volk wählen lassen sollte – oder ob man sich an eine koalitionäre Abmachung von 1947 halten sollte, nach der die Bundesversammlung mit Stimmen der SPÖ einen ÖVPler zum Präsidenten wählen sollte.

Dazu hätte allerdings – mit Zustimmung des Alliierten Rats – die Bundesverfassung geändert werden müssen, worauf sich beide Großparteien nicht einlassen wollten. Dennoch gab es Sorgen, dass im Wahlkampf ideologische Gräben aufgerissen werden könnten, lag doch der Bürgerkrieg erst 17, die Nazi-Diktatur erst sechs Jahre zurück.

Freie und geheime Volkswahl

Zum ersten Mal in der Geschichte wählte man also 1951 in freier und geheimer Volkswahl – der ÖVP-Kandidat Heinrich Gleißner, der schon dem Kabinett Dollfuß angehört hatte, aber zum überzeugten Demokraten geläutert worden war, bekam vom politischen Gegner ebenso Respekt wie der Sozialist und ehemalige Schutzbund-Organisator Theodor Körner. Im ersten Wahlgang erreichten beide Kandidaten um die 40 Prozent, im Wahlkampf zum zweiten Wahlgang spielte die Erinnerung an die Politik der Ersten Republik dann doch hinein und brachte Körner entscheidende Stimmen, nicht zuletzt von Wählern des im ersten Wahlgang unterlegenen Burghard Breitner vom VdU, der im ersten Wahlgang 15,4 Prozent erreicht hatte. Rechte Wähler wollten lieber den Exgeneral Körner als den dem klerikalen Lager zugerechneten Gleißner.

Die sozialistische Arbeiter-Zeitung schrieb damals: "Es hat sich gezeigt, dass ein erheblicher Teil der Mittelschichten, die sich um Breitner geschart hatten, sich nicht durch das antimarxistische Schlagwort verleiten ließ. Es hat sich gezeigt, dass es immerhin Reste eines freiheitlichen Bürgertums gibt. Die Ära Körner in Österreich beginnt."

Wahlpflicht bis 1982

Zur Wahl gehen mussten diese zeitwei-se von der SPÖ umworbenen freiheitlichen Wähler, denn es herrschte Wahlpflicht. Diese wurde auf Bundesebene erst 1982 aufgehoben. Bis zur Wahl 1980 war diese Wahlpflicht weitgehend unbestritten geblieben – wenn man an einer Volkswahl festhalten wollte. Aber das war nicht ausgemacht. Körners Amtszeit ist vorzeitig durch den Tod des Bundespräsidenten zu Ende gegangen, Österreich war nicht mehr besetzt, und die damals noch wirklich "große" Koalition überlegte, einen gemeinsamen Kandidaten (entweder den Sozialisten Helmer oder dessen Parteichef Adolf Schärf) von der Nationalversammlung wählen zu lassen. Die ÖVP hätte dafür aber die dauernde Abschaffung der Direktwahl verlangt, die SPÖ wollte dem Volk die Wahlmöglichkeit aber nicht nehmen.

Jonas schlägt Gorbach und Waldheim

Gewählt wurde 1957 dann nur zwischen zwei Kandidaten (der konservative Wolfgang Denk unterlag Schärf). Schärf wurde dann in der Wahl 1963 bestätigt – es gab drei Kandidaten, aber Julius Raab (40,6 Prozent) und Josef Kimmel (vier Prozent) konnten keine Stichwahl gegen den Amtsinhaber erzwingen. Die Wahlen 1965 (Franz Jonas schlägt Alfons Gorbach) und 1971 (Jonas schlägt Kurt Waldheim) blieben ebenso unspektakulär wie 1974 (Rudolf Kirchschläger schlägt Alois Lugger) – Volkswahl und Wahlpflicht waren weitgehend unbestritten, weil ein Großteil der Wähler mit dem rot-schwarzen Angebot einverstanden war.

Das änderte sich allerdings 1980: Die ÖVP, zu jener Zeit eine 42-Prozent-Partei, beschloss (gegen den Widerstand der Parteijugend) keinen Kandidaten gegen den beliebten Rudolf Kirchschläger aufzustellen und auch keine Wahlempfehlung abzugeben. Die Wahlpflicht zwang daher zu einer Entscheidung zwischen dem von der SPÖ unterstützten Kirchschläger, dem Freiheitlichen Wilfried Gredler und dem Rechtsextremisten Norbert Burger.

Krankheit oder Auslandsreisen

Trotz Wahlpflicht haben sich damals viele Wahlberechtigte gedrückt, Krankheit oder Auslandsreisen vorgeschoben – jeder Elfte blieb der Wahl fern. Die Wahlpflicht wurde in den meisten Bundesländern aufgehoben (zuletzt, bis 2004, galt sie nur noch in Tirol).

Dabei wurde die nächste Wahl spannend: 1986 erzwangen Freda Meissner-Blau von den Grünen und der freiheitliche Rechtsaußen Otto Scrinzi eine Stichwahl – die Wahlbeteiligung blieb auch wegen der umstrittenen Rolle Kurt Waldheims hoch. Waldheim trat zwar nicht wieder an, aber auch in der nächsten Wahl 1992 gab es mit Heide Schmidt eine Kandidatin, die es spannend machte und eine Stichwahl erzwang. Im zweiten Wahlgang 1992 aber sank die Wahlbeteiligung auf 80,9 Prozent – der Trend setzte sich stetig fort. Die große Zahl unterschiedlicher Kandidaten dürfte sie nun erstmals wieder steigen lassen. (Conrad Seidl, 23.4.2016)