Ein Studentenvisum bringt die junge Libanesin Lina (Manal Issa) nach Paris: Die leicht überhöhte Darstellung französischer Verhältnisse verleiht "Peur de rien (Parisienne)" Raffinesse.

Foto: Crossing Europe

Linz – Die politischen Verhältnisse sind ungewiss wie der Wetterverlauf. Im Inneren des Luxushotels lässt sich zumindest die Temperatur auf gleicher Stufe halten. Es steht in einem nicht näher bestimmten nahöstlichen Krisenstaat. Die deutsche UNHCR-Gesandte (Maria Furtwängler) gilt dort als Profi im Crowdfunding, einer Tätigkeit, die aus der geschickten Zusammenführung von Kontakten besteht. Geschmeidig wie eine Animierdame bewegt sie sich durch das Nachtleben und tanzt, wenn es sein muss, auch einmal auf Tischen. Alles für die Entwicklungshilfe.

Das Wetter in geschlossenen Räumen von Isabelle Stever ist ein Film, der durch seine ungewöhnliche Perspektive überrascht. Statt den Zuschauer mit einer moralisch integren Figur in ein Kriegsgebiet zu geleiten, wie es Filme dieser Art üblicherweise tun, verbarrikadiert er sich mit einer unzuverlässigen Heldin in einer Luxussuite und verfolgt deren Eskapaden mit einem dunkellockigen Lover mit.

Scheitern der Fernsehbilder

Stever zeichnet ein satirisch zugespitztes Bild gut gemeinten humanitären Interventionismus, der sich meist auf die Herstellung PR-tauglicher Fernsehbilder beschränkt. Und selbst diese scheitern hier noch. Allerdings erhebt sich der Film niemals über seine zunehmend labilere Protagonistin. Denn ihre Exzesse sind im Grunde schon in ihrer Arbeit angelegt, mithin ein notwendiges Übel. Ohne Alkohol als Grundlage läuft das Charity-Karussell nicht geschmiert.

Das Wetter in geschlossenen Räumen ist einer dieser Filme, für die man das Festival Crossing Europe so schätzt: Erzählerisch und stilistisch bewegt er sich weit abseits von Arthouse-Konventionen des regulären Kinobetriebs. Dafür nimmt man auch kleinere Unebenheiten in Kauf. In Linz geht es nicht so sehr um das übersehene Meisterwerk anderer Festivals, sondern darum, Nischen (über-) europäischer Lebenswelten auszuleuchten; oder den Blick auf Figuren zu richten, die nicht schon moralisch vorformatiert auf der Leinwand erscheinen.

Hintersinnig und aktuell

Dafür ist besonders Danielle Arbids Peur de rien (Parisienne) ein besonders gelungenes Beispiel, der am Montag noch einmal zu sehen ist. Die Regisseurin breitet eine Geschichte aus den 1990er-Jahren aus, die auf hintersinnige Weise mit aktuellen Entwicklungen im Umgang mit Migranten korrespondiert. Im Mittelpunkt steht die junge Libanesin Lina (Manal Issa), die mit einem Studentenvisum nach Paris kommt und sich bald lieber allein durchschlägt, weil ihr Onkel sie sexuell belästigt.

Arbid, die selbst libanesischer Abstimmung ist, erzählt jedoch keines dieser Dramen um Migrantinnen, die an ihren hohen Erwartungen an den Westen scheitern. Lina ist vielmehr eine Frauenfigur, die sich den Angeboten in Frankreich offen und durchaus gerissen stellt, und auch um ihre Rechte zu kämpfen weiß. Ein wenig ist das wohl Danielle Arbids eigene Geschichte.

Die Raffinesse des Films verdankt sich der leicht überhöhten Darstellung der französischen Verhältnisse. Das Bildungsangebot der Universität ist verführerisch, die Männer sind aufdringlich, romantisch oder nonchalant, die Freundinnen gibt es oft nur auf Zeit. Arbid arbeitet wunderbar einfallsreich mit Stereotypen, humorvoll verschiebt sie Akzente, lässt keine einfachen Antworten zu. Auf diese Weise vermittelt sich ein besonders nuancenreiches Bild des gesellschaftlichen Umgangs mit der Fremden, die selbst die Autorin ihres Lebens bleibt.

Die Festung, die Schlepper

In Babai, der in Linz gemeinsam mit Baden-Baden mit dem Crossing-Europe-Award ausgezeichnet wurde, ist Europa dagegen schon ganz jene Festung, die sich nur mit einem Schlepper bezwingen lässt. Das eindringliche Debüt des Kosovaren Visar Morina begleitet einen eigensinnigen zehnjährigen Buben, der sich an die Fersen seines Vaters heftet, der ihn allein zurückgelassen hat.

Seine Intensität gewinnt der Film aus der Unzuverlässlichkeit aller Figuren zueinander. Sie vergiftet schon die Beziehungen daheim im Kosovo, später dann auch in Deutschland und veranlasst immer wieder Gewaltausbrüche. Die mit viel Maß komponierten Breitwandbilder Morinas geben den Figuren viel Raum, doch die Freiheit, ihn mit ihren Herzen aufzufüllen, haben sie nicht. (Dominik Kamalzadeh, 24.4.2016)