Neue Sachlichkeit, einmal sozialkritisch, einmal verträumt: Otto Rudolf Schatz’ "Schaustellung" (1930) und ...

Foto: Bildrecht

... Carry Hausers "Lisl Goldarbeiter – Miss Universe" (1929).

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Wien – Als Engelbert Dollfuß 1933 den autoritären, katholisch-konservativen Ständestaat einrichtete, ging der Maler Otto Rudolf Schatz vorsorglich auf Weltreise. Er, der sich für die nunmehr verbotene Sozialdemokratie eingesetzt hatte, verlegte sich auf Harmloses wie Stadtansichten.

Sein Zeitgenosse Carry Hauser dagegen blieb und arrangierte sich mit dem System, engagierte sich für eine Kunst, die ihrer "Pflicht dem Volke gegenüber" nachkam. Er widersetzte sich später allerdings den Nationalsozialisten, indem er das als entartet stigmatisierte Schaffen Egon Schieles oder Oskar Kokoschkas in ein Kompendium repräsentativer österreichischer Kunst aufnahm.

Prisma der Kunst

Eine fern der schwelenden europäischen Katastrophe entstandene, durchaus postkartentaugliche New-York-Ansicht von Schatz hängt nun im Wien-Museum einem Porträt von Kardinal Theodor Innitzer aus der Hand Hausers gegenüber. Die beiden Bilder sind Teil einer Doppelretrospektive, der man mit dieser Bezeichnung nur bedingt gerecht wird. Der Reiz der von Ralph Gleis kuratierten Schau ist: Sie ermöglicht, zwei Lebenswege durch ein und dasselbe "Zeitalter der Extreme" zu vergleichen, freilich vor allem durch das Prisma der Kunst.

Dabei möchte man fast von einem mustergültigen Versuchsaufbau sprechen: Schatz und Hauser wurden, nur fünf Jahre voneinander getrennt, zu Beginn des Jahrhunderts geboren, Schatz 1900, Hauser 1895. Beide besuchten die k. k. Kunstgewerbeschule, hatten dieselben Lehrer. Sie teilen das Schicksal, zeitlebens im Schatten von Oskar Kokoschka oder Egon Schiele gestanden zu haben – aber auch in einem Naheverhältnis zu Schieles Förderer, Arthur Roessler. Entfernt miteinander bekannt, verband sie auch, dass sie vielfach in enger Bindung an die soziopolitischen Verhältnisse oder im Auftrag agierten, etwa als Illustratoren.

Nimmersatte Stadt

So umkreisten beide etwa die Metropole, das große Thema der Moderne: Hauser 1921 im Buch von der Stadt, worin er die Unzulänglichkeiten der menschlichen Seele gegenüber dem nimmersatten, erwachenden Moloch herausarbeitete. Schatz’ Künstlerbuch Die neue Stadt ist hingegen eine soziale Utopie und zeugt vom Glauben an das "Rote Wien".

Unterdessen verfolgt man zwei Suchbewegungen nach einem eigenständigen Stil, die bei Expressionismus und Kubismus ihren Ausgang nehmen und über die Neue Sachlichkeit zum Nachkriegsrealismus führen. Während man die Metamorphosen verschiedener Themen zwischen Gemälden, Zeichnungen, Grafiken nachvollzieht, werden indes auch die Klischees vom "Madonnenmaler" Hauser und vom "Arbeitermaler" Schatz infrage gestellt: Beide machten Ausflüge in die Welt des anderen.

Während des Zweiten Weltkriegs lebten Schatz und Hauser – beide waren mit jüdischen Frauen verheiratet – im Exil. Nach der Rückkehr fanden sie in Kulturstadtrat Viktor Matejka einen Förderer, betätigten sich insbesondere in der Kunst am Bau, also großflächigen Fassadengestaltungen. An die Glanzstücke Neuer Sachlichkeit konnten sie jedoch nur mehr bedingt anknüpfen. (Roman Gerold, 25.4.2016)