Immer mit der Welle zu schwimmen ist einfacher, als mit Surferklischees zu brechen. Dabei sind kalifornische Blondschöpfe und Palmenstrände in der Welt der Wellenreiter mittlerweile fast so selten wie Perlentaucher im Attersee. Das versucht der Prachtband "Surf Odyssey" zu zeigen und sagt: Eine Sportart, die in Polynesien seit 4.000 Jahren existiert, aber erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt wurde, hat sich eine differenziertere Betrachtung längst verdient. Echte Surfer haben kein Brett vor dem Kopf, sondern lieber eins unter den nassen Füßen und reisen damit zu den ungewöhnlichsten Orten. Manche von ihnen umkreisen sogar Afrika auf der Suche nach der perfekten Welle oder finden ihr Glück irgendwo auf dem Amazonas, in Island und in Bangladesch.

Nigeria: Gelbe Welle

Was reitet einen, die perfekte Welle im ohnehin nicht risikoarmen Nigeria zu suchen? Für den südafrikanischen Surfer und Profifotografen Greg Ewing liegt das bevölkerungsreichste Land Afrikas immer wieder auf dem Weg: Seit Jahren umrundet der Mittvierziger den Kontinent für Surfmagazine und dokumentiert in eindrucksvollen Bildern, warum gerade diese 30.000 Kilometer Küste zu den meistunterschätzten in der Welt der Wellenreiter gehören.

Feinster Saharasand im Golf von Guinea – passionierte Surfer reisen dafür sogar nach Nigeria.
Foto: Surf Odyssey / Greg Ewing

Dabei zählen die Gewässer rund um Lagos wohl zu den dreckigsten der Welt, und die Hauptstadt selbst gilt als verseucht von Kriminalität – doch die Wellen der Tarkwa-Bucht sind einzigartig: Surfer reiten hier auf Schaumkronen, die oft so gelb sind wie die Taxis in der 13-Millionen-Metropole. Verantwortlich dafür ist der Passatwind Harmattan, der Saharasand bis in den Golf von Guinea transportiert und das Meerwasser sattgelb färbt.

Bangladesch: Freiheit spüren

Und dann gibt es noch Surfbretter, auf denen Subtexte transportiert werden. In Bangladesch ist Surfen ungefähr so wichtig wie ein Neoprenanzug in der Karibik. Dennoch hat sich in der Stadt Cox's Bazar am Golf von Bengalen ein Gruppe von Mädchen zwischen zehn und dreizehn Jahren gefunden, um genau diesem Vergnügen zu frönen.

Surfer auf eine Mauer aus Wasser: Pedra Branca, Tasmanien
Foto: Surf Odyssey/Stuart Gibson

Die US-amerikanische Fotografin Allison Joyce ist als eine der Ersten auf die Gruppe aufmerksam geworden und hat sie für das Buch "Surf Odyssey" porträtiert. Mittlerweile reißen sich TV-Teams aus aller Welt um diese Geschichte. Aber warum eigentlich? Von den Männern an diesem Strand eines mehrheitlich islamischen Landes bekommen sie ständig zu hören: "Frauen, die surfen – das gehört sich nicht." Rashed Alama, ihr Surflehrer, sieht das zum Glück anders. Und der Stehsatz von der großen Freiheit, die das Surfen bringt, bekommt doch noch eine Bedeutung.

Island: Kalt erwischt

Stabile, gleichförmige Wellen, wie sie Surfer suchen, sind im Winter oder in kalten Gewässern wahrscheinlicher als im Sommer. Das veranlasst eine wachsende Anzahl von Sportlern, ihre Shorts gegen Neoprenanzüge zu tauschen und zum Surfen in subpolare Regionen zu reisen. Island ist da ein besonders heißer Tipp, weil die Vorbereitung auf das eiskalte Wasser aus langen Aufwärmübungen bestehen sollte.

Nördlich von Tofino, Kanada
Foto: Surf Odyssey/Jeremy Koreski

Bevor es also in den oft nur vier Grad kalten Atlantik vor der Halbinsel Reykjanes geht, holt man sich erst einmal in einer der unzähligen Warmwasserquellen der Vulkaninsel die nötige Betriebstemperatur. Und dann? Vertraut man einem der vielen Surfnarrischen auf Island, die einen schon mal acht Stunden quer über die Insel chauffieren, um die perfekte Welle zu finden. Was genau muss die haben? Einen hübschen Ausblick auf Eisberge oder die nette Begleitung durch Schwertwale während des Ritts.

Amazonas: Großer Lärm

Die Pororoca – zu Deutsch: "großer Lärm" – ist eine Tidenwelle, die den Amazonas gut 800 Kilometer vom Delta hinaufwandert. Immer bei Voll- und bei Neumond gelangt Meerwasser aus dem Atlantik mit einer Geschwindigkeit von bis zu 65 km/h landeinwärts nach Óbidos.

Vor den Klippen von Moher in Irland
Foto: Surf Odyssey/Chris McClean

Das zieht naturgemäß auch Surfer an, die nirgendwo anders länger und weiter reiten können: Wer sich auf dieser im Februar und März bis zu drei Meter hohen Welle hält, kommt mehr als zehn Kilometer weit und ist bis zu einer halben Stunde unterwegs. Größter Nachteil: Dort, wo die Welle am besten gezähmt werden kann, liegt rundherum nur ungezähmte Natur. Man braucht schon ein Boot und ein Zelt, um mitten im Dschungel unter Krokodilen und Würgeschlangen auf den perfekten Zeitpunkt zum Lossurfen zwischen Piranhas zu warten. Nur die Flutwelle, die wartet nicht. Ist sie erst einmal vorbeigeschwappt, war's das.

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