Geht es um Kinderbetreuung, Haushalt oder die Pflege von Angehörigen, ist in Österreich immer noch meistens die Frau am Zug.

Foto: APA/dpa/Felix Kästle

Margit Appel: "'Die Frau muss Vollzeit erwerbsarbeiten' zu einer neuen Norm zu erheben wäre ebenfalls nicht feministisch."

Foto: privat

STANDARD: Ihr Lehrgang zielt darauf ab, die wirtschaftlichen Kompetenzen von Frauen zu stärken – "Wirtschaft betrifft alle Frauen", heißt es. Was bedeutet das konkret?

Appel: Es bedeutet, dass es keinen Rückzugsort gibt, dass überall gewirtschaftet wird. Im For-Profit-Sektor – da sind sich die meisten dessen bewusst! –, ebenso wie im Non-Profit-Sektor, im Haushaltssektor, im öffentlichen und auch im illegalen Sektor. Überall dort sind Frauen tätig und dabei ganz spezifischen Diskriminierungen und Einschränkungen unterworfen. Das zeigen wir in unserem Lehrgang auf, wobei wir uns Konzepten feministischer Ökonomie bedienen.

STANDARD: Lehrgangs-Absolventinnen haben Visionen für das Jahr 2025 formuliert, unter anderem "die gläserne Decke soll es nur noch im Museum geben" oder "auch Männer interessieren sich für die Quote". Wie soll das funktionieren, wo das System doch jetzt ihrem Machterhalt dient?

Appel: Ich beobachte einen Meinungswandel. Gerade jenen Männern, die gut ausgebildete Töchter haben, wird jetzt klar, dass für die Frauen, die sie gerne haben und deren Leistung und deren Können sie als sehr hoch einschätzen, eine gläserne Decke existiert. Aber klar, dieser Meinungswandel geht sehr langsam vonstatten. Deshalb ist da sicher zunächst einmal die Politik am Zug, die Quote zu befördern – Verpflichtungen sind die Sprache, die es für ein Weiterkommen in Sachen Frauenbeteiligung in politischen Gremien und auf Unternehmensebene jetzt braucht .

STANDARD: Nun sagen Sie, dass Ungleichheit auch wesentlich im Privaten stattfindet. Geht es um Kinderbetreuung, Haushalt, die Pflege von Angehörigen, ist meist die Frau am Zug. Gerade dieser private Bereich erscheint aber besonders resistent. Was ist die Lösung?

Appel: Zunächst müsste der volkswirtschaftliche Wert unbezahlter Arbeit stärker anerkannt werden. Dazu gibt es ja auch schon Initiativen: Statistiken, die aufzeigen, wie viel mehr Stunden Frauen unbezahlt arbeiten als Männer. Zweitens geht es darum, die Verhandlungsmacht von Frauen zu stärken.

STANDARD: Wie?

Appel: Mittels einer radikaleren Vereinbarkeitspolitik. Ich denke hier etwa an Arbeitszeitverkürzung, damit man mit 35 Stunden oder sogar 30 Stunden schon ein Vollzeiteinkommen hat. Denn das Problem momentan: Nur eine bestimmte Gruppe am Arbeitsmarkt, zumeist Frauen, arbeiten Teilzeit und damit entgeht ihnen einiges an Gehalt.

Gutheißen würde ich außerdem die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Denn es geht nicht nur darum, dass alle Menschen das tun können, was sie wollen, sondern auch darum, dass alle das tun, was notwendig ist – für den einzelnen Haushalt, aber auch gesellschaftlich.

STANDARD: Kritikerinnen befürchten, es würde zu einer Art "Hausfrauengehalt".

Appel: Das ist eine ernstzunehmende Befürchtung, und zwar deshalb, weil das Grundeinkommen auf jetzige, ungleiche gesellschaftliche Bedingungen trifft. Wichtig wäre also, es nicht auf einen Haushalt zu beziehen, sondern jedem und jeder Einzelnen auszuzahlen. Es darf nicht das Bild entstehen, dass das Grundeinkommen eine Eins-zu-Eins-Leistung für Care-Arbeit oder ehrenamtliche Tätigkeit ist.

STANDARD: Die Zeit schrieb unlängst: "Der Erzfeind der Frauenbewegung ist heute nicht das Patriarchat, sondern die Frau, die ihr Leben der Kindererziehung widmet und sich mit einer Halbtagsstelle zufrieden gibt." Wie kann man sie ins Boot holen oder besser: Muss das überhaupt sein? Wie erleben Sie das in Ihren Lehrgängen?

Appel: Ich stelle fest, dass viele Frauen darüber nachdenken, welche Lebensentwürfe feministische Lebensentwürfe sind und welche nicht. Eine unserer Lehrgangs-Teilnehmerinnen lebt überhaupt nicht das Konzept, das Sie gerade zitiert haben – sie hat keine Kinder und arbeitet mit Begeisterung Vollzeit. Aber im Rahmen des Lehrganges und der Beschäftigung mit unbezahlter Arbeit ist sie zu dem Schluss gekommen, dass ebenfalls nicht gut ist, "die Frau muss Vollzeit erwerbsarbeiten" zu einer neuen Norm zu erheben. Auch das wäre nicht feministisch, weil es im Feminismus ja um die Möglichkeit geht, unterschiedlichsten selbstbestimmten Lebensentwürfen von Frauen zur Durchsetzung zu verhelfen – gerade auch solchen, die bislang kaum gedacht werden konnten oder durften. Ich bin froh, dass in unseren Lehrgängen solche Erkenntnisse möglich sind. (Lisa Breit, 30.4.2016)