Die Volksseele brodelt nicht mehr, sie kocht. Auslöser ist die tödliche Attacke auf dem Wiener Brunnenmarkt – ein vorbestrafter 21-jähriger Kenianer, der gar nicht mehr in Österreich sein dürfte, hat eine zufällig vorbeikommende Passantin mit einer Eisenstange erschlagen. Wie jeder Mord eine furchtbare Tat. Aber ist sie auch Grund genug, in den Tenor der Empörten einzustimmen, die, polemisch ausgedrückt, folgern: "Ein wildgewordener Neger hat eine arme Frau erschlagen, deshalb muss das gesamte Gesindel weg!"? Man sollte Vorsicht walten lassen.

Der neue Innenminister Wolfgang Sobotka hat stante pede eine Arbeitsgruppe einberufen, die sich schwerpunktmäßig der "Fremdenkriminalität" widmen soll. Klingt gut. Das Problem: Wie der aktuelle Fall rechtlich zu beurteilen ist, ist noch völlig offen. Gibt es doch Hinweise, dass der Beschuldigte massive psychische Probleme hat und möglicherweise zurechnungsunfähig ist. Im Gegensatz zu einem 41-jährigen Oberösterreicher, der vor drei Monaten in Leonding auf offener Straße ein Ehepaar, 71 und 74 Jahre alt, mit einer Eisenstange erschlagen haben soll – nach einem jahrelangen Nachbarschaftsstreit.

Selbstverständlich kann man Gewalttaten nicht gegeneinander aufrechnen. Mitdenken sollte man den Umstand aber schon, dass nicht plötzlich der allumfassende Rechtsfrieden ausbricht, wenn man alle straffälligen Ausländer außer Landes schafft. Gerade der spezielle Wiener Fall – so es sich bei dem Beschuldigten um einen Kranken handelt – wirft viel eher die Frage auf, warum sich keine staatliche Stelle für den Mann zuständig gefühlt hat.

Sozialbetreuerische Angebote wollte er offensichtlich nicht annehmen. Bei der Polizei scheint man trotz seiner bekannten Probleme keinen Grund gesehen zu haben, ihn untersuchen und wegen Fremdgefährdung in eine Anstalt einliefern zu lassen. Der Justiz wiederum fielen ebenso wenig mögliche psychische Hintergründe des Delinquenten auf. Warum er nicht längst abgeschoben wurde? Weil ihn sein Heimatland laut Innenministerium nicht zurückwollte.

Für eine Debatte über den Umgang mit straffällig gewordenen Fremden könnte dieser Fall also der schlechteste Auslöser sein. Aber: Die Debatte an sich ist durchaus berechtigt. Natürlich bricht nur ein kleiner Teil der Touristen, Flüchtlinge und Migranten das Gesetz. Aber die, die es machen, erregen Unmut – und erzeugen Ängste. Kriminalsoziologisch ist die Entwicklung nicht ungewöhnlich: Junge Männer ohne Perspektive liefern weltweit viel Arbeit für Polizei und Justiz. Bei manchen von ihnen stellt sich, möglicherweise noch mehr als bei "Autochthonen", die Frage, ob eine Haft der Weisheit letzter Schluss ist, solange sie nicht im Gefängnis gefördert, ausgebildet, aber genauso gefordert werden.

Denn viele wird man kaum abschieben können – beispielsweise Syrer, Iraker und Afghanen. Selbst dann nicht, wenn man ihnen einen etwaigen Asylstatus wieder aberkennt. Die einzige Folge wäre, dass sie dann als U-Boote leben und erst recht kriminell werden. Anders sieht es bei Bürgern jener Staaten aus, deren Asylanerkennungsquote niedrig ist. Bei ihnen kann man durchaus argumentieren, dass man sie nicht mehr hier haben will. Nur: Die Tatsache, dass nicht längst schon mit viel mehr Staaten Rücknahmeabkommen geschlossen worden sind, ist ebenso ein Versäumnis. (Michael Möseneder, 9.5.2016)