Wien – "Deine Heimat braucht dich jetzt", denn "Heimat braucht Zusammenhalt", rauscht es durch das Land. Diese Heimat nun ist die gemeinsame Summe der beiden Präsidentenanwärter. In diesem Horror Vacui, den man Heimat nennt, leben wir in Saus und Braus: affektenthemmt, ökoromantisierend (Servus TV) bis zur Demokratieunverträglichkeit.

Was mit der Vertreibung aus dem Paradies begann (nehmen wir mal an, Adam und Eva waren die ersten Vertriebenen), entwickelte sich von einem Rechtsbegriff zu einem veritablen Instrument der Ausgrenzung, ist jetzt wieder da, wo man sich mit dem vertriebenen, KZ-gequälten, in Wien geborenen Jean Améry fragen muss: "Wie viel Heimat verträgt der Mensch?", oder paraphrasieren wir besser: "Wie viel von dieser Heimat verträgt der Mensch?"

Heimatschutz, Heimwehr, Heimatarchitektur, Heimatmuseen, Heimatschutzhäuser, Heimatstil, Heimatlied, Heimatwerke, diese alle haben ausschließlich einen politisch-historischen Bezug. Zwischen paramilitärisch agierenden Heimatschutzverbänden der Zwischenkriegszeit, den im Ständestaat oder mithilfe des Reichsnährstands in der NS-Zeit gegründeten sogenannten Heimatwerken und den diktatgebenden Heimatpflegern und -schützern der Nachkriegszeit und Gegenwart sind Begriff und dazu passende Stereotypien zu verorten.

Waffe eines nationalen Verteidigungskriegs

Was in der überwunden geglaubten Vergangenheit dem Zwecke der nationalen Erhebung diente, ist erneut Waffe eines nationalen Verteidigungskriegs oder Schulterschlusses. Die Beschwörungsformel der "Kraft der Scholle" wird zwar vermieden, als ikonografisches Kontinuum hält sie irritierenderweise camoufliert Einzug in unseren Alltag. Dieser tiefstmögliche Punkt von Energie und Kreativität lässt die Kornfelder im Wind sich beugen, die fetten Wiesen und reinen Landschaften erblühen. Eine derart massierte Anhäufung altbekannter Stereotypien verhilft, anders als die in prosaischem Blau-Weiß-Rot gehaltenen Plakate, zu einem Gefühlstrieb, der einem Appell an die Heimatliebe (so, jetzt haben wir dieses Wort auch noch aufgenommen) gleichkommt.

Die klügsten Aufsätze zum Thema Heimat schrieben vertriebene Juden. Jean Améry und Vilém Flusser. Nie beachtet von jenen, die sich von Amts wegen um die Hege und Pflege von Heimat kümmern: die Volkskulturvereine und die rund um die traditionalistisch ausgerichteten Parteien gesinnten Erhaltungsvereine.

Kornblume als Zierde großdeutscher Gesinnung

Initiationsgesten wie die blaue Kornblume (Hofer) oder der Schwur auf das Herz Jesu (A. Rupprechter) machen schaudern. Seit Georg Ritter von Schönerers (1842-1921) Alldeutscher (antikatholischer) Bewegung und deren Anlehnung an die von Wilhelm I. zur deutschen Blume ausgerufenen Kornblume – er wollte damit seiner Mutter Königin Luise ein Andenken bewahren -, trägt man dieses Unkraut zur Zierde großdeutscher Gesinnung. Die im Tirolerischen besonders viel vorkommenden katholischen Heimatverliebten wiederum schwören auf eine Votation aus der Zeit der Franzosenkriege. Hier von unzeitgemäßer kulturpolitisch intendierter Kontinuität zu sprechen ist wahrhaft keine Übertreibung. Was diesen Patriotismen entgegenzuhalten wäre, ist das Leiden der Heimat, das Leiden an der Heimat. Die eben bemühten Améry und Flusser, eine Reihe von klugen, intellektuellen Freigeistern unter den toten wie noch lebenden Literaten erzählen von Heimat in allen Nuancen.

Bei Jelinek und Bernhard

Heimat ist da, wo sie die Wahlkämpfenden ziemlich sicher nicht vermuten. Wir begegnen ihr verdichtet in allen Stücken von Elfriede Jelinek oder in jenen Thomas Bernhards. Rein mit diesen Aufsätzen und Literaturen in die Schulbücher, dann bleiben uns diese wenig authentischen Heimatstereotype(n) möglicherweise hinkünftig erspart! Wo aber ist denn nun diese viel bemühte, geradezu beschworene Heimat?

Vernehmbar für alle ist sie in den von Skiliften zerstörten Landschaften, in der pestizidverseuchten Landwirtschaft und in den raumgreifenden Hotelburgen, in denen die dirndlbewehrten Kellnerinnen schlecht bezahlt arbeiten. Heimat ist etwas fokussierter in den Clubs der Nacht zu finden, in unzähligen Kulturvereinen, am 6. Jänner bei den serbisch-orthodoxen, Stroh und Eichenlaub verkaufenden Frauen auf dem Brunnenmarkt, im Wiener Bockkeller, beim Heurigen, bei den Taubenzüchtern, Paddlern, im Haus des Friedens, beim islamischen, persischen oder kurdischen Kulturverein, im Wuk, im Lions Club, im Internationalen Sufi-Orden, im Filmclub Drosendorf, bei den Volkstänzern, im Fanclub von Hansi Hinterseer etc. pp. Wie sie halt alle so heißen, die kleinen Heimaten im Hier und Jetzt.

Heimat sind viele

Heimat ist also nicht eine. Heimat ist und sind viele, und noch ist es uns möglich, von der einen in die andere zu switchen. Sobald die wogenden Ähren zur fruchttragenden einen zu werden haben, sollte man von einem Herrschaftsgestus (der von einem weltumspannenden Eurozentrismus genährt wird) sprechen.

Heimat als Diktat und/oder als illusorische Ökoromantik sollte keinem mehr zugemutet werden. Ein Zeichen der vorherrschenden destruktiven Moderne sind kulturimperialistische Expansions- oder Abschottungsbestrebungen mit Heimat als Waffe, die nach innen wie außen der ethnischen Grenzberichtigung dienen soll. (Elsbeth Wallnöfer, 17.5.2016)