Derart konsequent ist Venezuelas Hauptstadt in Freund und Feind aufgeteilt, dass sich ihre Bürger selbst über den Tod hinaus voneinander abgrenzen: Die Reichen von Caracas liegen in den besseren Vierteln im Osten begraben, die Armen im Westen. Venezuela gilt schon lange als tiefgespalten, dieser Tage aber erreicht der erbitterte Machtkampf zwischen den Anhängern der Regierung und jenen der Opposition einen neuen Höhepunkt. Oppositionsführer Henrique Capriles spricht angesichts des Streits rund um das neu erlassene Dekret und den verlängerten Ausnahmezustand von einer "Bombe, die jeden Moment explodieren kann", Präsident Nicolás Maduro warnt seinerseits von einem Bürgerkrieg.

Beide haben sie recht. Tatsächlich lief das vielzitierte Pulverfass Venezuela selten zuvor derart Gefahr, zu explodieren. Zu Recht fürchten viele Venezolaner eine neue Gewaltwelle im Land. Die jetzige Eskalation erklärt sich durch die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes, die die Regierung nicht und nicht in den Griff bekommt. Sie liegt aber auch darin begründet, dass es Hugo Chávez' Nachfolger Maduro nie gelingen konnte, sich als legitimen Erben des sozialistischen Präsidenten zu präsentieren.

Maduro gilt selbst in den eigenen Reihen als umstritten – was zu einem veritablen Problem heranwächst. Zu Chávez' Vermächtnis gehören nämlich auch die von ihm bis auf die Zähne bewaffneten Milizen in den Armenvierteln, die das Erbe des verstorbenen "Comandante" mit Überzeugung und Waffengewalt hochhalten und deren Kontrolle der Regierung längst entglitten ist.

In der Zwei-Millionen-Stadt Caracas werden an manchen Wochenenden mehr Menschen ermordet als in Österreich das ganze Jahr über. Das neue Dekret würde die Lage sogar verschlimmern: Die Verordnung räumt Bürgerwehren nunmehr das Recht ein, Armee und Polizei "bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" zu unterstützen. Die Regierung warnt also vor einem Bürgerkrieg, dessen Voraussetzungen sie selbst geschaffen hat. Und sie macht das Leben der Bewohner jener Stadt, die ohnehin schon Jahr für Jahr zur gefährlichsten Metropole der Welt gekürt wird, noch gefährlicher.

Dass laut Dekret zeitgleich allen Personen außer dem Militär und den Bürgerwehren das Tragen von Waffen verboten werden soll, beruhigt nur bedingt. Wobei das tatsächlich der einzige Punkt ist, in dem sich Opposition und Regierung einig sind. (Anna Giulia Fink, 18.5.2016)