Wie ein "Esoteriker" fühle er sich manchmal, sagt der Völkerrechtler Ralph Janik im STANDARD-Interview, wenn er zu erklären versucht, was das internationale Recht zum Krieg in Syrien sagt: "Dann kommt oft: 'Aber darum schert sich doch ohnehin keiner.'" Ganz so einfach ist das aber nicht. Zwar ist die Analyse der Rechtslage wohl eher wirklich Sache von akademischen Zirkeln und spielt bei politischen Entscheidungen – besonders in den USA – keine allzu große Rolle: "Aber kein Staat sagt: 'Uns ist das Völkerrecht egal.' Oft hinkt sie, oft ist sie weit hergeholt, aber irgendeine Rechtsgrundlage wird dann doch angeführt."

Das Völkerrecht sei wie eine gemeinsame Sprache, erklärt Janik, der sich mit den politischen und rechtlichen Aspekten von Kriegen und bewaffneten Konflikten beschäftigt und dabei immer wieder Syrien und die Frage des möglichen Regimewechsels behandelt. "Selbst wenn es alle anders interpretieren, wenn alle aneinander vorbeireden", sagt er über das Völkerrecht, "bleibt es die Sprache, in der man zueinander spricht."

Neues Kriegskonzept

Und so versuchen sich die Juristen auf das, was in den vergangenen Jahren besonders im Nahen Osten passiert – militärische Interventionen, das Aufkommen des "Islamischen Staats" –, einen völkerrechtlichen Reim zu machen. Dabei muss das Recht neue Antworten auf neue Fragen geben, aktuelle Ereignisse geben die Richtung vor. Besonders deutlich wurde das nach 9/11, als das Konzept des Kriegs als rein zwischenstaatlicher Angelegenheit endgültig zusammenbrach, sagt Janik: "Wie geht man mit so einem Angriff eines nichtstaatlichen Akteurs um? Wie verhalten sich Staaten, wie wirkt sich das auf die Rechtslage aus?"

Diese Entwicklung hatte sich bereits in den 1990er-Jahren bei Konflikten wie dem in Somalia abgezeichnet: kein Krieg mehr zwischen zwei Staaten, sondern innerhalb eines Staats. Und parallel dazu der Terrorismus großen Stils. Das waren die neuen Szenarien, die das internationale Recht erfassen musste.

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Die große Ausnahme: "Die USA verstoßen gegen das Gewaltverbot", meint Janik zum Einmarsch der US-Koalition im Irak 2003.
Foto: REUTERS/Peter Andrews

In dieser Beziehung war der Irak-Krieg 2003 die große Ausnahme. Janik: "Aus rechtlicher Sicht war das klar. Zwei Staaten, keine Uno-Sicherheitsresolution, kein Fall fürs Selbstverteidigungsrecht: Die USA verstoßen gegen das Gewaltverbot."

Aber bei vielem, was danach kam, hilft die Uno-Charta nicht mehr weiter. Der Versuch, Antworten zu geben – etwa auf die Frage nach den Regeln für die IS-Bekämpfung –, kann auch scheitern, wie Janik anhand der "eher mühsamen" Sicherheitsratsresolution 2249 vom November 2015 erläutert, in der dieser Kampf gegen den IS vom Sicherheitsrat autorisiert werden sollte.

Rahmen unklar

Darin wurden alle Staaten dazu aufzurufen, gegen den IS und andere Terrorgruppen in Syrien und dem Irak vorzugehen, sie "auszumerzen". Diese Sprache ist sehr stark, der IS wird als eine in dieser Form nie dagewesene Bedrohung für den internationalen Frieden bezeichnet, erläutert Janik: "Reflexartig denkt man, das sei eine Autorisierung für Gewaltanwendung."

Ist es aber nicht. Denn dann kommt im Text die Spezifizierung "in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, insbesondere der UN-Charta". Janik: "Das heißt: Der Uno-Sicherheitsrat bestätigt nur bestehende Rechtsgrundlagen, aber er hat nicht selbst die Gewaltanwendung autorisiert." Man darf den IS im Rahmen des Völkerrechts bekämpfen – aber genau dieser Rahmen ist ja unklar! Das macht die Resolution zum politischen Statement, zur Deklaration. Eine neue Rechtsgrundlage bietet sie nicht.

So zimmert sich eben jeder Staat seine Legitimation zurecht: Frankreich etwa sieht in Resolution 2249 sein Selbstverteidigungsrecht nach den IS-Terrorangriffen bestätigt. Dieser Interpretation wird niemand offen widersprechen – was aber nicht heißt, dass sie aus juristischer Sicht wasserdicht ist.

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Der "Islamische Staat" als "Quasi-de-facto-Regime"

Zur verworrenen Gemengelage in Syrien gibt es vom Standpunkt des internationalen Rechts aus nicht immer eindeutige Antworten. Der Jurist Ralph Janik erklärt die Schwierigkeiten.

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Dürfen die Russen an der Seite des syrischen Regimes militärisch intervenieren? Ja, das dürfen sie, sagt das klassische Völkerrecht. Im Bild ein Briefing für russische Offiziere.
Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin

STANDARD: Ich möchte mit einem Völkerrechtler die Interventionen und wichtigsten Akteure in Syrien sozusagen durchdeklinieren. Frage Nummer eins: Durfte Russland in Syrien intervenieren, darf der Iran das Assad-Regime aktiv unterstützen?

Ralph Janik: Grundsätzlich gilt das Gewaltverbot: Man darf einen anderen Staat nicht angreifen. Wenn der Staat oder, genauer gesagt, die Regierung jedoch ihr Einverständnis gibt und die Intervention im Rahmen dieses Einverständnisses bleibt, ist das kein Verstoß gegen das Gewaltverbot. Vom klassischen Völkerrecht her wäre das also ein typischer, grundsätzlich erlaubter Anwendungsfall. Der Internationale Gerichtshof hat 1986 im Nicaragua-Fall betont, dass eine Regierung darum bitten darf beziehungsweise das Einverständnis dazu geben darf, von außen unterstützt zu werden. Aber heute vertreten viele eine Gegenmeinung, die besagt: In einem Bürgerkrieg soll keine Seite unterstützt werden. Wenn ein Volk den eigenen Diktator abschütteln will, darf sich niemand einmischen, denn das verstößt gegen das Selbstbestimmungsrecht.

STANDARD: Einschub: Ist Syrien ein Bürgerkrieg?

Janik: Als rechtliche Kategorie gibt es den Bürgerkrieg nicht wirklich. Das ist ein politologischer Begriff. Als rechtlichen Begriff gibt es internationale bewaffnete Konflikte und nichtinternationale bewaffnete Konflikte. Aber da das Schema "innerhalb oder außerhalb von Staatsgrenzen" beziehungsweise "Staat gegen Staat oder Staat gegen Rebellen" nicht immer aufgeht, musste man zusätzliche Konstrukte finden: internationalisierte gemischte Konflikte. Syrien ist ein solcher, weil ja auch ausländische Akteure dabei sind.

Ralph Janik ist Universitätsassistent an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Wien.
Foto: Lukas Stifter

STANDARD: Wie sieht es aus der Sicht des klassischen Völkerrechts für einen Akteur wie die libanesische Hisbollah aus, die ja auch in Syrien mitkämpft?

Janik: Die Hisbollah ist ein Konstrukt sui generis. Sie kontrolliert den Südlibanon, man könnte sie deshalb als "Quasi-de-facto-Regime" einstufen. Sie übt ihre Kontrolle mit einer gewissen Aussicht auf Dauer aus und ist irgendwie nah an "staatlich". Kein Staat, aber ein Staat im Staat. Das ist etwa auch für die Frage relevant, ob Israel 2006 das Selbstverteidigungsrecht gegen die Hisbollah hatte – nicht gegen den Libanon, denn der hatte ja damals nicht angegriffen.

STANDARD: Aber darf die Hisbollah nun in Syrien kämpfen oder nicht?

Janik: Da gebe ich jetzt die schlimmste Antwort, die ein Jurist geben kann: Das kommt darauf an. Im klassischen Sinne könnte man sagen, gut, wenn sie vom Iran hinbeordert wird, der wiederum von Assad eingeladen wurde ... Aber wurde jetzt der Iran eingeladen oder direkt die Hisbollah? Wie verhält sich ein Akteur wie die Hisbollah zum Selbstbestimmungsrecht? Da wird es sehr schwammig. Assad wird sich jedenfalls nicht beschweren. Genau das ist der Grund, warum es als Problem gesehen wird zu sagen, dass die Einladung einer Regierung ausreicht. Wenn sich das Volk erhebt, und dann helfen dem Regime andere Staaten, die ihrerseits autokratisch regiert werden, an der Macht zu bleiben: Das kann nicht so aufgehen. Genau deshalb sollte in einem nichtinternationalen Konflikt niemand intervenieren. Aber es gibt auch da wieder Ausnahmen: wenn es sich um einen Kampf gegen den Terrorismus handelt beziehungsweise wenn diejenigen, die gegen die Regierung kämpfen, sich nicht auf das Selbstbestimmungsrecht berufen können. In der Praxis ist das oft natürlich schwer festzustellen. Noch dazu gibt es zum Selbstbestimmungsrecht unzählige Ansichten.

STANDARD: Was dazu führt, dass das Assad-Regime pauschal alle Rebellen als Terroristen bezeichnet. Denken die so legalistisch?

Janik: Ich glaube schon, dass das da hereinspielt. Da sind wir bei der Legitimitätsfrage. Die USA und die EU haben den Abgang Assads ja schon 2011 gefordert. Parallel dazu hat Syrien von Anfang an vorgebracht, dass die Rebellen von außen gesteuerte Terroristen sind. Das ist wieder das alte Völkerrechtsdenken: Nur die bestehende Regierung ist legitim, alle anderen nicht. Umgekehrt sollte man sich tunlichst davor hüten, die Rebellen pauschal als demokratische Freiheitskämpfer zu idealisieren. Die Bezeichnung "Rebellen" ist ja mittlerweile weithin diskreditiert, ebenso das Label "moderat". Es ist in der Tat schwierig, einen geeigneten Sammelbegriff zu finden. Im Völkerrecht kann man sich jedenfalls auf den – wertfreien – Begriff der "nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen" zurückziehen.

STANDARD: Im Fall "demokratischer Aufstand gegen Unrechtsregime": Dürfen demnach die Rebellen von außen unterstützt werden?

Janik: Auch da gilt der Nicaragua-Fall, da hat der IGH gesagt: Die Unterstützung von außen ist nur auf Bitten der Regierung in Ordnung. Sonst wäre ja das Interventionsverbot ad absurdum geführt, und jede Gruppe könnte sagen: Wir haben den eingeladen. Der Gedanke, demokratische Aufstände zu unterstützen, ist äußerst missbrauchsanfällig. Deswegen ist es ja so entscheidend, wer als Regierung anerkannt wird: Wenn man behaupten würde, dass die Rebellen die legitime Regierung in Syrien sind, dann dreht man den Spieß um, und Assad wird zum Rebellen.

STANDARD: Wenn der US-Präsident sagt: "Assad ist nicht mehr der legitime Präsident Syriens", ist das von irgendeiner rechtlichen Bedeutung?

Janik: Man muss unterscheiden zwischen rechtlicher und politischer Anerkennung. Das gibt es einerseits die politischen Stellungnahmen, bei denen Assad die politische Legitimität abgesprochen wird, gleichzeitig aber die rechtlichen Fragen: Wer darf über im Ausland liegendes Vermögen verfügen, wer über die Botschaften, wer wird als Botschafter akzeptiert. Das eine berührt nicht unbedingt das andere.

STANDARD: Und im Fall Syrien ist der Botschafter Assads etwa bei der Uno noch immer der Vertreter Syriens.

Janik: Ganz im Gegensatz zu Libyen, wo Gaddafis Mann schnell die Fronten gewechselt hat. In Libyen wurden die Rebellen zuerst vornehmlich politisch anerkannt. Wenn man sich das Schrifttum aus den 1950er-Jahren anschaut, herrscht folgende Meinung: Durante bello, während der laufenden Kampfhandlungen, sollte man überhaupt niemand anderen als die bestehende Regierung anerkennen; sondern erst wenn klar ist, dass die Rebellen gewonnen haben und die alte Regierung nicht mehr in der Lage sein wird, das verlorene Gebiet zurückzuerobern. Darum ist etwa die Hauptstadt so entscheidend: Wenn sie einmal in der Hand von Rebellen ist, dann ist eine Anerkennung durchaus möglich, denn daran erkennt man, wer die effektive Kontrolle über das Land hat. Legitimität ist da höchstens sekundär. In Libyen haben viele Staaten die Rebellen strenggenommen eigentlich zu früh anerkannt, zu einem Zeitpunkt, als sie nur Teile des Staatsgebiets unter Kontrolle hatten.

STANDARD: Zu Syrien gab es, anders als in Libyen, nie ein Uno-Mandat für eine Intervention gegen Assad. Also ist die saudi-arabische, katarische und türkische Unterstützung, und natürlich auch die aller westlicher Staaten, für die Rebellengruppen rechtlich zumindest problematisch?

Janik: Es machen zwar alle. Aber es hat auch noch niemand darauf gepocht, dass das rechtlich in Ordnung wäre und dass sich das Recht in dieser Beziehung auch wandeln könnte. Was man argumentieren könnte, wäre eine sogenannte Gegenintervention. Das macht die Frage, wer als Erster eingegriffen hat, so entscheidend. Wenn das etwa Russland und der Iran waren, dann wäre Unterstützung der Rebellen möglich, um das Kräftegleichgewicht wiederherzustellen. Und umgekehrt. Aber nach all den Jahren ist das ohnehin so eine Sache. Hier stößt das Völkerrecht an seine Grenzen.

STANDARD: Und jetzt kommt zur Regierung und den Rebellen noch ein anderer Akteur dazu, der "Islamische Staat". Darf ihn die US-geführte Allianz in Syrien und dem Irak angreifen?

Janik: Der IS hat den Konflikt enorm verändert. Jetzt haben wir gewissermaßen einen "neuen Feind der Menschheit", weswegen ja Assad mittlerweile als das geringere Übel angesehen wird.

STANDARD: Im Irak hat die anerkannte Regierung um Hilfe gegen den IS gebeten.

Janik: Da muss man unterscheiden. Innerhalb des Irak haben wir eine Intervention auf Einladung der allgemein anerkannten Regierung, noch dazu gegen einen Akteur, der unisono als terroristisch eingestuft wird. Da bestehen keine Probleme.

STANDARD: Und in Syrien?

Janik: Das ist ungleich komplexer. Im Idealfall hätte man eine eindeutige Ermächtigung durch den Sicherheitsrat, aber das Leben ist bekanntlich kein Wunschkonzert. Also behilft man sich mit dem Selbstverteidigungsrecht des Irak, den der IS von Syrien aus angegriffen hat, wobei er immer noch irakisches Gebiet kontrolliert. Das Selbstverteidigungsrecht steht ja nicht nur dem Verletzten selbst zu. Der betroffene Staat kann andere Staaten, im gegenständlichen Fall vor allem die USA, um Unterstützung bitten – man spricht von kollektiver Selbstverteidigung. Seit den Anschlägen von Paris kommt das Selbstverteidigungsrecht von Frankreich, das schon davor die Bedrohung des IS betont hat, dazu.

Das "nicht Wollen" ist schon schwierig, aber noch problematischer ist das "nicht in der Lage Sein".

Das rechtliche Problem dabei besteht darin, dass der IS nicht als Staat angesehen wird: Er ist ein nichtstaatlicher Akteur, der auf dem Gebiet eines souveränen Staats – Syrien – operiert. Und Assad verweigert eine explizite Einwilligung für das Vorgehen gegen den IS in Syrien. Als Ausweg aus diesem Dilemma haben die USA ein strittiges Konzept angewandt: die "Unable or unwilling"-Doktrin für den Fall, dass ein Staat selbst nicht in der Lage oder gewillt ist, eine Terrorgruppe in Schach zu halten.

Das "nicht Wollen" ist ja schon schwierig, aber noch problematischer ist das "nicht in der Lage Sein". Denn ein Terroranschlag lässt sich eben nicht zu hundert Prozent verhindern. Das öffnet neue Möglichkeiten, innerhalb eines anderen Staatsgebiets anzugreifen, indem man sagt: Dieser Staat ist nicht in der Lage, das zu kontrollieren. Aber wo ist die Grenze, ab wann ist man "in der Lage"? Deshalb wird diese Argumentation von vielen abgelehnt.

Frankreich selbst hat sich, als es sich dem Kampf gegen den IS in Syrien anschloss, auch nicht darauf berufen. Sie haben das rechtlich einfach nicht weiter ausgeführt. Da schließt sich jetzt der Kreis zum Libanon: Auch wenn man den IS nicht als Staat ansehen will, so könnte man ihn als ein "Quasi-de-facto-Regime" bezeichnen, das die drei Elemente eines Staats (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt) zumindest teilweise erfüllt. Das heißt, er ist so staatsähnlich, dass auch gegen ihn das Selbstverteidigungsrecht zulässig ist.

STANDARD: Können Sie den Begriff "Quasi-de-facto-Regime", den Sie schon für die Hisbollah verwendet haben, näher erklären?

Janik: Man versucht händeringend, etwas zu konstruieren, womit man die Staatenpraxis in ein rechtliches Gewand gießen kann. Das "quasi" dient, um es von den "De-facto-Regimen" abzugrenzen. Das sind Gebilde, die bereits eine gewisse Zeit bestehen und mit denen man auch inoffizielle Kontakte pflegt. Man hat sich gewissermaßen damit abgefunden, dass es sie gibt. Ein Beispiel für ein De-facto-Regime wäre Somaliland: Da hat sich so etwas wie ein Staat gebildet, der zwar nicht als solcher anerkannt, aber doch irgendwie akzeptiert wird. Auch Nordzypern fällt in die Kategorie; es wird zwar nur von der Türkei anerkannt, aber man muss es doch rechtlich in irgendeiner Form erfassen.

Den IS möchte man jedoch rechtlich nicht mit diesen Gebilden auf eine Stufe stellen, zumal er noch nicht so lange existiert: Er genießt nicht einmal ein Mindestmaß an Legitimität, und man arbeitet aktiv an seiner Beseitigung. Dazu reicht ein Blick auf Sicherheitsratsresolution 2249, die den Willen des Sicherheitsrats betont, "diese beispiellose Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln zu bekämpfen".

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Kammer des Sicherheitsrats bei den Vereinten Nationen in New York.
Foto: REUTERS/Mike Segar

STANDARD: Sind die Menschen, die unter dem IS leben, wirklich so etwas wie ein Staatsvolk oder doch nur allesamt Opfer, auch wenn sie vielleicht teilweise kollaboriert haben?

Janik: Das ist eine sehr schwierige Frage. Wenn man sagt, dass alle, die unter der Herrschaft des IS leben, sich in Geiselhaft befinden, spricht man damit dem IS das Staatsvolk ab: Dann ist er nicht einmal im faktischen Sinne ein Staat. Aber es gibt Berichte, dass viele Sunniten den IS akzeptiert haben und auch nicht von Kurden oder Schiiten befreit werden wollen. Der Rückhalt ist also entscheidend bei der Frage, ob der IS ein Staatsvolk hat oder nicht. Ein "Quasi-de-facto-Regime" bleibt er aber in jedem Fall.

STANDARD: Bei der Türkei wird es vollends kompliziert: Sie unterstützt in Syrien die Rebellen, kämpft gegen die Kurden, denen sie vorwirft, mit der PKK unter einer Decke zu stecken, und bekämpft – zumindest sagt sie das – den IS.

Janik: Die Türkei hat eine Stellungnahme beim Uno-Sicherheitsrat abgegeben, dass sie ihr Selbstverteidigungsrecht wahrnimmt – und sie hat dabei auch das Konzept "unable or unwilling" genannt, da Assad den IS nicht bekämpfen will oder kann. Die syrischen Kurden hat sie in der Stellungnahme nicht eigens erwähnt – aber kurz darauf angegriffen. Und für die Unterstützung der Rebellen gilt das Gleiche wie für Saudi-Arabien und alle anderen.

STANDARD: Und um es noch einmal komplizierter zu machen: Wenn Israel in Syrien die Hisbollah angreift, wie ist das einzuordnen?

Janik: Auch Israel würde im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts handeln. Es gäbe aus Sicht des Völkerrechts keine andere Rechtfertigung.

STANDARD: Aber warum Selbstverteidigungsrecht, die Hisbollah ist gerade in Syrien ja nicht gegen Israel zugange?

Janik: Korrekt, das Selbstverteidigungsrecht wäre in diesem Fall schon sehr weit vorgelagert. Es gilt ja nur bei bereits erfolgten oder unmittelbar bevorstehenden Angriffen. Wenn kein Angriff unmittelbar bevorsteht, ist das zeitlich eine zu weite Ausdehnung.

STANDARD: Da geht es nicht um einen unmittelbaren Angriff, sondern um die Kapazitäten dazu.

Janik: Da sind wir beim Präventivschlag und der Diskussion nach 9/11 und vor dem Irak-Krieg. Einerseits will Israel seine Feinde nicht zu stark werden lassen. Andererseits darf das Selbstverteidigungsrecht nicht zu stark ausgehöhlt werden. Wenn es um nationale Sicherheitsinteressen geht, wird das Völkerrecht aber nicht immer eingehalten. (Gudrun Harrer, 21.5.2016)