Von jenem Viertel der Österreicher, das das Vertrauen in die Politik komplett verloren hat, haben 75 Prozent Norbert Hofer gewählt.

Foto: Standard/Newald

Die Wähler der beiden Kandidaten sind polarisiert.

Wien – Die Wähler des FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer misstrauen Politik und Parteien, sie haben Sorge, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtert. Dem gegenüber stehen die Wähler des designierten Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, die der Zukunft eher optimistisch entgegenblicken. Das hat eine Studie des Politikwissenschafters Fritz Plasser und des Meinungsforschers Franz Sommer (Arge Wahlen) ergeben.

Für die Studie hat das Institut für Marktforschung und Regionalumfragen tausend repräsentativ ausgesuchte Wähler befragt. Die Telefoninterviews wurden in der Woche vor der Stichwahl geführt. Die Studie zeigt, dass die Wähler Hofers und Van der Bellens zwei völlig konträre Weltsichten haben, sagt Plasser bei der Präsentation am Dienstag. "In dieser Schärfe habe ich das noch bei keiner anderen Wahl gesehen."

Vertrauenskrise

Allgemein stellen die Studienautoren eine Vertrauenskrise zwischen politischen Eliten und Wählern fest. Die Hälfte der Befragten hat nur wenig Vertrauen in politische Parteien und Politiker. Von jenem Viertel, das das Vertrauen in die Politik komplett verloren hat, haben 75 Prozent Hofer gewählt. Umgekehrt haben jene, die Politik und Parteien "im Großen und Ganzen" vertrauen, zu 73 Prozent für Van der Bellen gestimmt.

Die beiden Wählergruppen leben zudem in sehr unterschiedlichen Alltagswelten, wie Plasser sagt. Von jenen Befragten, deren Lebensstandard sich in den letzten zwei bis drei Jahren verbessert hat, haben über 70 Prozent Van der Bellen gewählt. Zu 70 Prozent für Hofer stimmten jene, deren Lebensstandard sich eher verschlechtert hat, das waren 18 Prozent der Befragten. Auch die subjektiven Zukunftsperspektiven der Hofer-Wähler sind eher düster. 69 Prozent jener, die sagen, dass sie "gezwungen sein werden, Abstriche zu machen" – das waren 42 Prozent der Befragten – wählten den FPÖ-Kandidaten.

Auch in der Flüchtlingsfrage haben die Wähler der beiden Kandidaten sehr unterschiedliche Ansichten. Der Aussage, dass Österreich weitere Flüchtlinge aufnehmen kann, stimmen grundsätzlich nur 35 Prozent der Befragten zu. Von diesen haben 84 Prozent Van der Bellen gewählt. 60 Prozent finden, dass die Möglichkeiten Österreichs bei der Aufnahme von Flüchtlingen bereits erschöpft sind, von ihnen stimmten 70 Prozent für Hofer.

Eine Polarisierung zeigt sich auch in den Einstellungen zur Europäischen Union. 61 Prozent der Hofer-Wähler glauben, dass die EU-Mitgliedschaft eher Nachteile gebracht hat, 73 Prozent von Van der Bellens Wählern sehen eher Vorteile für Österreich.

Regierung gefordert

Für Plasser ist klar, dass diese Abstiegsängste und die Vertrauenskrise den Bundespräsidentschaftswahlkampf überdauern werden. "Das werden zentrale Tiefenströmungen in der österreichischen Gesellschaft sein", sagt er. Die Regierung müsse handlungsfähig werden, um dem entgegenwirken zu können. ÖVP und SPÖ müssten Maßnahmen setzen, die auch von Hofer-Wählern angenommen werden, damit ihr Blickwinkel konstruktiver werde.

Die Polarisierung der Wähler bei dieser Stichwahl habe gezeigt, wie "unverzichtbar" die "Traditionsparteien" SPÖ und ÖVP seien. "Beide sind soziale Integrationsparteien", sagt der Politologe. "Das ist jetzt die Nagelprobe dieser Integrationsfähigkeit." Wenn die beiden Regierungsparteien diese nicht bestehen, würden sie bald keine Rolle mehr spielen. (Lisa Kogelnik, 24.5.2016)