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Das Forum Romanum in Rom war das politische und gesellschaftliche Zentrum des Römischen Reichs. Nach Aufständen musste man in der Hauptstadt reagieren.

Foto: Picturedesk/Artmedia/Westend61

Wien – Italien im Jahr 91 vor Christus: Die Landkarte, die es damals noch nicht wirklich gab, gleicht einem Flickenteppich. Nahe der Westküste liegt Rom, großräumig umgeben von Stadtstaaten und Territorien. Im Norden leben unter anderem Etrusker und Umbrer, im Süden Lukaner, Kampaner und griechische Kolonisten.

Die meisten dieser Völker sind formell unabhängig, aber über Verträge fest an den römischen Staat gebunden. Letzterer profitiert davon, für die Koalitionspartner hingegen sieht die Sache weniger vorteilhaft aus. "Alliierter Roms zu sein hieß in erster Linie, Truppen zu stellen", sagt die Historikerin Loredana Cappelletti von der Universität Wien. Dank der Unterstützung seiner Verbündeten, "socii" genannt, konnte sich das entstehende Imperium mehrere erfolgreiche Eroberungskriege leisten.

Die multinationale Armee förderte auch den kulturellen Austausch. Männer unterschiedlicher Völker kämpften und lebten zusammen, berichtet Cappelletti. Man lernt die Sprachen der anderen. Von Gleichberechtigung kann allerdings keine Rede sein.

Illegale Einwanderer

Kriegsbeute wird ausschließlich unter den römischen Soldaten aufgeteilt, die Kameraden der Alliierten gehen leer aus. Sie müssen sogar für ihre eigene Ausrüstung aufkommen. Viele von ihnen sind eigentlich Bauern und können während der Feldzüge ihre Höfe nicht bestellen. Verarmung ist die Folge. Die Notleidenden dürfen sich dennoch nicht, auf der Suche nach einer besseren Zukunft, in Rom niederlassen. Illegale Einwanderer werden regelmäßig ausgewiesen. Mischehen sind ebenfalls verboten. Kein Wunder also, dass sich zunehmend Unfrieden breitmacht.

"Schuld war der Konservatismus der römischen Aristokratie, ihre Kurzsichtigkeit", sagt Cappelletti. Die "socii" verlangten jahrzehntelang Gleichberechtigung, die Elite verwehrte es ihnen. Als der 91 vor Christus zum römischen Volkstribun gewählte Marcus Livius Drusus trotzdem eine Ausweitung der Bürgerrechte plant, fällt dieser wenige Monate später einem Mordanschlag zum Opfer. Nun ist für die Bündnispartner das Maß voll. Es kommt zur blutigen Rebellion. In einigen Städten werden römische Bürger massakriert. Der Bundesgenossenkrieg ("bellum sociale") ist ausgebrochen.

Aufstand als Wendepunkt

Loredana Cappelletti befasst sich bereits seit längerem mit dem Entstehungsprozess des Römischen Reichs. Die Expertin fokussiert ihre Arbeit auf Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsstrukturen, denn diese bieten auf vielfältige Weise Einblick in das politische Geschehen jener Zeit. Die Texte spiegeln nicht nur den Umgang mit dem eigenen Volk wider, sondern auch das Verhältnis zu den Bewohnern neu eroberter oder angeschlossener Gebiete.

Cappelletti und ihre Kollegen haben mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF drei Jahre lang hunderte Quellen ausgewertet, darunter viele Inschriften auf Bronzetafeln, Steinen und Sarkophagen. "Endlich konnten die vielen verschiedenen Dokumente gesammelt und analysiert werden", sagt Cappelletti. Das Ergebnis der Untersuchungen zeigt: Gängige Vorstellungen vom Imperium Romanum müssen zumindest teilweise revidiert werden.

Der Bundesgenossenkrieg war zweifellos ein Wendepunkt in der antiken Geschichte. Der Aufstand traf die Römer anscheinend völlig überraschend. Gleich zu Anfang des Krieges erlitten sie mehrere militärische Niederlagen. Gegen Herbst des Jahres 90 vor Christus drohte dem noch jungen Imperium der Untergang.

Angebot an Rebellen

Die Herrscher in Rom reagierten klug und pragmatisch. Sie erließen ein Gesetz, welches auswärtigen Gemeinden den Beitritt zum römischen Staatswesen ermöglichte, mit vollen Bürgerrechten für ihre Angehörigen. Bisher glaubten viele Historiker, dieses Angebot hätte nur nichtabtrünnigen Städten gegolten. Cappellettis Studien legen hingegen einen anderen Schluss nahe. Das neue Gesetz richtete sich demnach auch an die Rebellen. Manche scheinen darauf eingegangen zu sein, die meisten jedoch setzten den Krieg fort. Den Römern gelang es aber, das Blatt zu wenden und erfolgreich in die Offensive zu gehen. 88 vor Christus kapitulierten die Aufständischen.

In der Hauptstadt hatte man dennoch die Lektion gelernt. Allen Völkern südlich der Poebene wurden die Bürgerrechte gewährt. Rom zeigte nun auch eine erstaunliche Sensibilität im Umgang mit seinen Neubürgern. Zwar mussten die Angeschlossenen römische Statuten übernehmen, doch viele lokale Strukturen blieben weiterhin bestehen. In den griechischen Kolonien wie Neapel zum Beispiel bekamen die hochangesehenen Titulaturen eine neue, meist religiöse Funktion.

Sprachlicher Pluralismus

Auch sprachlich ließen die Römer Vielfalt walten. In vielen Gemeinden wurde im zweiten Jahrhundert nach Christus noch Griechisch gesprochen, erklärt Cappelletti. Einige apulische Dialekte seien sogar bis heute griechisch geprägt.

Die römischen Statuten wurden den neu eingemeindeten Kommunen in Form beschrifteter Bronzetafeln überreicht, und auch deren Inhalte tragen mitunter den örtlichen Bräuchen Rechenschaft. Besonders gut zeigt sich dies in der "Lex Municipii" von Tarent, einer weiteren ehemals griechischen Kolonie. Von mindestens neun Tafeln ist leider nur eine erhalten geblieben, wie Cappelletti berichtet. Diese beschreibt allerdings das Recht des lokalen Magistrats, öffentliche Festspiele aus Bußgeldern zu finanzieren – nach bisherigen Erkenntnissen war das nirgendwo sonst im Römischen Reich erlaubt. Das Imperium drückte wohl einfach ein Auge zu. (Kurt de Swaaf, 28.5.2016)