Kübra Gümüşay stellt sich mit dem Hashtag #OrganisierteLiebe der zunehmenden Flut an Hass im Netz entgegen.

Foto: Kübra Gümüşay

Ist es pathetisch, "organisierte Liebe" der zunehmenden Flut an Hass im Netz entgegenstellen zu wollen? Diese Frage stellte Kübra Gümüşay an den Beginn ihres Vortrags auf der Republica-Konferenz Anfang Mai, um sie dann sogleich selbst zu beantworten: "Je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, welch Luxus es ist, so denken zu können."

Hass als ständiges Hintergrundrauschen

Für die Feministin und Muslimin gehört der Hass zum ständigen Hintergrundrauschen, rund eine Viertelstunde verbringt sie täglich damit, Twitter-NutzerInnen zu "muten", also ihnen den Ton abzudrehen. Doch oft sind es die Aktivistinnen selbst, die im Netz verstummen: gehässige Angriffe verstören, schüchtern ein, ermüden. Grund genug, Kräfte zu bündeln. Aufklärung, sachliche Information und gegenseitige Wertschätzung brauche es in sozialen Netzwerken dringend, sagt Gümüşay.

#OrganisierteLiebe eben, um Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Sexismus Paroli zu bieten. Die freie Journalistin und Bloggerin ist Expertin in Sachen Onlinekommunikation: Als Social-Media-Beraterin schult sie Unternehmen und Organisationen wie die Saïd Business School der Oxford Universität, als politische Aktivistin startete sie gemeinsam mit Kolleginnen die Kampagne #Schauhin – unter diesem Hashtag teilten Menschen ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Auch an der Initiative #ausnahmslos wirkte Gümüşay mit, die sich nach den sexualisierten Übergriffen in der Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Städten formierte.

Schweigen ist Zustimmung

Die Aktivistinnen wehrten sich gegen eine Instrumentalisierung feministischer Anliegen durch RechtspopulistInnen: Sexuelle Gewalt dürfe nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich "anderen" seien. Eigentlich ist es Gümüşay, die schon mit Thilo Sarrazin debattierte, leid, sich ständig rechtfertigen und erklären zu müssen – beispielsweise für ihr Kopftuch. Aber: "Es ist leicht, diese Themen auszublenden, wenn man nicht von ihnen betroffen ist", sagte sie auf der Republica sichtlich bewegt. Die Diskussion, ob der Islam zu Deutschland gehört, stelle schließlich nicht weniger als die Existenz von MuslimInnen infrage. Gümüşay, Politikwissenschafterin, geborene Hamburgerin und Deutschtürkin, lebt mittlerweile in Großbritannien – aktuelle politische Debatten in ihrem Herkunftsland beobachtet sie mit Sorge. Für die unermüdliche Aktivistin bieten sie Anlass für die nächste Aktion: "Wir müssen Liebe organisieren, weil das Schweigen im Angesicht des lauten Hasses ein Zustimmen ist", sagt Kübra Gümüşay. (Brigitte Theißl, 1.6.2016)