Auf den Ölmärkten ist schon lange nichts mehr normal, und es darf bezweifelt werden, dass es jemals wieder normal zugehen wird. Das waren doch noch Zeiten, als Saudi-Arabien als größtes Förderland Marktungleichgewichte ausglich und die Förderung, so notwendig, auch mal zurücknahm. Rohöl ist zwar jener Stoff, der die industrialisierte Welt selbst 150 Jahre nach seiner Entdeckung noch immer am Laufen hält. Die Uhr aber tickt.

Nicht, dass das Rohöl rasch zur Neige gehen würde, wie dies Anhänger der Peak-Oil-Theorie noch vor wenigen Jahren als Gewissheit verkauft haben. Schließlich ist die Steinzeit auch nicht zu Ende gegangen, weil es keine Steine mehr gab. Bei Öl kommt abseits aller Innovationen aber noch ein anderer, drängender Aspekt hinzu.

Das Verbrennen von Öl muss, wenn schon kein natürliches, dann ein künstliches Ablaufdatum haben. Gelingt der großflächige Umstieg auf alternative Antriebssysteme in den kommenden Jahrzehnten nicht, ist alles Makulatur, was die Staatengemeinschaft beim Weltklimagipfel im Dezember in Paris beschlossen hat. Soll die Erderwärmung nicht über die von der Wissenschaft als gerade noch vertretbaren zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen, muss der größte Teil der Ölvorräte im Boden bleiben. Die fossilen Energieträger sollen nicht mehr verbrannt werden dürfen. Nur mehr als Ausgangsstoff für Kosmetika, Medikamente oder Kunststoff sollen sie zur Anwendung kommen. Ein radikal neuer Zugang, der im Sinne des Klimaschutzes postuliert wird.

Das wissen auch die Vertreter jener Länder, die auf den fettesten Vorräten sitzen, namentlich die 13 in der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) zusammengeschlossenen. Und wollen noch möglichst viel ihres schwarzen Goldes versilbern. Preise jenseits der 100-Dollar-Marke, die noch vor zwei Jahren die neue Normalität zu sein schienen, kamen den Golfstaaten und anderen Förderländern damals gerade recht. Die Petrodollars wurden benötigt, die steigende Unzufriedenheit in immer größeren Teilen der Gesellschaft zu dämpfen – etwa durch künstlich niedrig gehaltene Spritpreise.

Auch wenn viele Produzentenländer das Geld heute noch mehr bräuchten als damals, das spielt's definitiv nicht mehr. Die Opec hat mit ihrer Politik, die Preise in nie gesehene Höhen zu schrauben, übers Ziel hinausgeschossen. Gleichzeitig hat die einst mächtige Organisation damit die eigene Machtposition durchlöchert.

Erst bei Preisen um die 100 Dollar je Fass ist es für US-Investoren interessant geworden, Sandsteinformationen mit verfeinerten, aber sehr teuren Technologien anzubohren. Sogenanntes Shale Oil, aus Schiefergestein gewonnenes schwarzes Gold, ist zum großen Spaßverderber der konventionellen Förderländer geworden.

So wird es bleiben, auch wenn einige Schieferölinvestoren zwischenzeitlich kalte Füße bekommen und sich aus der Produktion zurückgezogen haben. Wenn die Preise wieder deutlich über 50 Dollar je Fass steigen, sind sie aber garantiert wieder da, mit noch effizienteren Methoden und noch längerem Atem.

Wenn die Staatengemeinschaft umsetzt, was sie in Paris beschlossen hat – den Ausstieg aus fossilen Energien -, wird auch der Vorhang im Shale-Oil-Theater fallen. Alle Ölförderer sind jedenfalls gut beraten, eine Strategie für die Zeit nach dem Öl auszutüfteln. (Günther Strobl, 2.6.2016)