Der Mops bellt in Elke Heidenreichs neuem Buch sehr gern. Ansonsten mangelt es den kurzen Geschichten der deutschen Kritikerin und Autorin an sprachlicher Präzision – und an Originalität.

Foto: Monika Nonnenmacher

Das Buch steht auf deutschen Bestsellerlisten ganz oben. Das sagt einiges über unsere Mediengesellschaft aus, die Posen und Posierlichkeiten ihrer Promis als Kunst verkauft. Die nun auch belletristischen Auftritte von Rockern und Talkshow-Dandys, von Schauspielern und TV-Moderatorinnen häufen sich, dazu schreiben gleich Freunde die Rezension. Alles kein Zufall lautet der neue Titel von Elke Heidenreich. Tatsächlich, alles kein Zufall. Hätte Lieschen Müller das Manuskript an Verlage geschickt, wäre es postwendend abgelehnt worden.

Heidenreich beginnt mit der Bedeutsamkeit von der Urgroßmutter her, die "streng über ihre Brille" geschaut und gesagt habe: "Friss Vogel, oder stirb!" – es soll wohl ein tiefsinniges Motto sein.

Über die Familienkette gelangt die Erzählerin der 180 kurzen Geschichten zum Ich in der dritten Person, als wolle sie sich selbst distanziert betrachten. Sie sei "eine" geworden, die alles in Kisten und Kästen hortete, "und als sie alt war, versank sie in ihnen, murmelte und las und kramte und schaute".

Dieser Ansatz für die folgende Anordnung der Kurzprosa von A wie "Allein" bis Z wie "Zufall" behauptet Hingabe, Suche sowie Beobachtung. Und am Ende steht die Rückkehr zu den Großmüttern als simple Erzählklammer. So vermag der Verlag im Klappentext zu fantasieren, die Szenen würden "dann beim Lesen zusammenwachsen zu einem einzigen Roman jedes unwiederholba- ren Lebens". Wie bitte? Diese Geschichterln sollen der Roman "jedes Lebens" sein?

Altwerden ist schwer

Es ist jedoch kaum mehr als eine Ansammlung müder Anekdoten, mitgehörter Dialoge, wenig origineller Erinnerungen, Nachrichten von Männern, Müttern und Tieren. Da erfährt man: "Unser Hund ist ein fideler Mops", der gerne bellt. Man liest Offenbarungen wie "Altwerden ist schwer" oder: Es seien "ja nicht die ganz großen Katastrophen, woran wir zerbrechen, es sind die Kleinigkeiten".

Und ein halbseitiger Text erklärt einleitend: "Ganz allein sein, irgendwo, wo man fremd ist, das ist einfach interessant." Einfach? Ja: "Man entdeckt Neues, ist offen, bereit für Überraschungen." Mit derartiger Küchenphilosophie garniert Heidenreich ihre Sentimentalisierungshäppchen.

Unter dem Titel "Gott" betritt das Ich aus dem Schneematsch eine Wiener Kirche, in der ein alter Mann gerade den Boden putzt. "Der liebe Gott schaut nicht auf die Füße, nur ins Herz", sagt er. Die Rührung folgt auf den Fuß: "Ich bin aber augenblicklich in Tränen ausgebrochen und habe mich danach gesehnt, dass mir jemand ins Herz sehen möge." Das ist Kitsch in einer Form, die man vom Schulaufsatz kennt.

In der Klasse wurde seinerzeit gelehrt, man müsse das Spezielle des Erlebnisses zum Schluss ins Allgemeine, Zusammenfassende oder fragend Zukunftsweisende erhöhen. Heidenreichs Buch liefert eine Reihe solcher Endpunktsätze wie "Da hat Gerling doch noch was Gutes getan" und, am lustigsten: "Da hat doch Pinkeln mal was eingebracht" (die Geschichte heißt "Schnee").

Die Kulturbeflissene führt Gefühlsseligkeit angesichts von Kunst vor, in der Oper ergreift sie ergriffen die Hand der Sitznachbarin, "schluchzend wir beide". Sie bemüht sich um Kunstsätze, landet jedoch bei der Bedeutsamkeitspose: "Die Sonne strahlte und wusste von all dem nichts." Wie soll denn die Sonne von der Großartigkeit Kenntnis haben, dass Philipp und das Ich in einen Leon verliebt waren?

Simple Welt

Die Welt erscheint simpel und geordnet. Die Eigenschaften stehen so eindeutig fest, dass dagegen Hofmannsthals Chandos-Brief empfohlen sei, um die Problematik solcher Zuweisungen zu bedenken. Vieles kommt der Autorin merkwürdig vor, und schon teilt sie es als schöne Erzählung mit. Schön ist hier ein Hauptwort, die Steigerung lautet "bildschön", "fabelhaft". Die Gegensätze sind klar, an Erklärungen mangelt es nicht. Der Schluss einer Geschichte über einen Spaziergang am Rhein teilt mit, "Esperanza" heiße Hoffnung. Ein Schiff dieses Namens fährt vorbei, letzter Satz: "Ein Zeichen."

Sprachlicher Präzision oder gar Originalität widmet Heidenreich weniger Aufmerksamkeit, sie verlässt sich auf die Phrase. Eine Freundin "sieht umwerfend aus und ist ganz bei sich", die Kindheit "steigt hoch", "Applaus brandet auf". Geradezu avantgardistisch erscheint da der Satz "ich bin ganz indifferent".

Diese Mängel sind nicht nur kleine Bruchstücke in "Situationen, in denen jeder sich wiedererkennt", wie der Klappentext uns allen aufträgt. Sie zeugen vielmehr von einer Weltsicht, die Kulturkulissen vorschiebt. "Im Meer der Unsicherheiten des Lebens gibt es nur eine Straße, der man blind folgen kann: die der Kultur", betont Elke Heidenreich. Ob sie etwa nur bedacht hat, wie die Kolonialherren ihre schreckliche Herrschaft mit dem Kulturargument legitimierten?

Am Ende der Geschichte mit dem Titel "Großmutter" beklagt sie im Heute, wozu sie mit ihrem Buch selbst beiträgt: das "angepasste Einerlei". (Klaus Zeyringer, Album, 5.6.2016)