Sänger Iggy Pop auf der 'Soulstage' während des Konzertes im Rahmen des 'Rock in Vienna' am Samstag, 4. Juni 2016 auf der Donauinsel in Wien

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Till Lindemann belästigt nicht mit neuen Ideen. (Archivbild)

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Wien – Harte Rockmusik an der frischen Luft wurde unter anderem auch aus diesem Grund erfunden: Man lebt endlich ungeniert. Befreit von gesellschaftlichen Zwängen wie Umgangsformen (Nicht vordrängen, nicht rempeln, fremden Leuten nicht in das Ohr rülpsen, Plastikbecherbier ist zum Trinken da…) kann man in würdelosen T-Shirts ordentlich den Bären steppen lassen. Man muss als Mann auch nicht unbedingt ein T-Shirt tragen, darf sich dann aber nicht wundern, wenn es beim Vordrängen und Rempeln zu unschönen homophoben Reaktionen kommt. Wichtig auch: Man sollte sich nicht erwarten, so die Frau für’s Leben oder einen Lebensabschnittpartner zu finden, der sich dann daheim am Wochenende nach einem romantischen Candlelight-Dinner jahrelang freiwillig die schönsten Balladen von AC/DC, Motörhead oder Rammstein anhört.

Pyro-Lampions

Rammstein sind die Headliner am ersten Tag des dreitägigen Festivals Rock in Vienna. 45.000 sind gekommen, um unter wolkenverhangenem Himmel sensible Stücke wie Bück dich oder eine zeitgenössische Variation des Laternenlieds zu hören. Dazu wird allerdings kein Umzug mit Lampions veranstaltet, sondern mit schweren Geschützen, Pyrotechnik und Flammenwerfergitarren Silvester als Kriegsspiel gedeutet.

Die Soundanlage hält leider nicht ganz, was das martialische Auftreten der Band unter Verwendung sämtlicher zur Verfügung stehender teutonischer Klischees verspricht. Till Lindemann als Mad Max mit dem rrrrrollenden RRRRR klingt an diesem Abend über den verzerrten Kompressorgitarren etwas weniger bedrohlich als gewollt. Wie soll man sich vor Rammstein fürchten, wenn selbst die regelmäßig das Open-air-Areal durchpflügende S-Bahn lauter ist? Es kann doch nicht sein, dass man bei einem Rockfestival nie drei Mal nachfragen muss, wenn einem der Nebenmann etwas ins Ohr brüllt. Ha, was hast du gesagt?!

Altbekanntes

Man wird bei Rammstein jedenfalls nicht mit neuen Liedern oder Ideen belästigt. Ebenso wie zuvor die Metal-Cellisten Apocalyptica aus Finnland oder die kalifornischen Altmonster Slayer wird Hausmarke ausgeschenkt. Viele im Publikum nutzen die Gelegenheit, sich in die eigens aufgestellten mobilen Gastgärten zu setzen oder ein wenig zu shoppen.

Am Ende sieht man in der U-Bahn auf dem Weg nach Hause, dass vor allem ältere Männer die nicht unbedingt hübschen T-Shirts von Rock in Vienna gekauft haben. Sie tragen sie, ohne sie vorher gewaschen zu haben. Das kann verdammt leicht allergische Reaktionen verursachen. Rock’n’Roll ist auch eines: er ist gefährlich. Aber sag denen das. Da redest du gegen Wände.

Punk-Altvater

Definitiv ohne T-Shirt, dafür beeindruckend verwittert und vor ungefähr der Hälfte des Publikums von Tag eins bei Rammstein rockte Punk-Altvater Iggy Pop am Samstag. 20.000 Leute wurden von der alten Lederhaut mit Stinkefinger und solidem Best-of-Material wie 1969, I wanna be your dog, Lust for Life oder The Passenger wieder einmal solide wie beinahe jedes Jahr in Wien bedient. Die Energie des 69-jährigen ist trotz Hüftleidens ungebrochen. Sogar Material des neuen Albums Post Pop Depression war zu hören. Statt im Frühjahr kurz mit Josh Homme, Produzent und Frontmann von Queens of the Stone Age, befindet sich Iggy Pop allerdings längst wieder mit seiner gewohnten Tourband um Gitarrist Kevin Armstrong (David Bowie, Morrissey, Iggy Pop) auf Tour. Wie gesagt, Überraschungen finden Open-air selten statt. (Christian Schachinger, 5.6.2016)