Nickelsdorf – Selbst die Windräder stehen still. Für das traditionell unwettergeplagte Nova Rock Festival in den burgenländischen Pannonia Fields nahe Nickelsdorf ist das eine gute Nachricht. Zwar kann dank des Rausches vom Eröffnungstag nicht mehr jeder Festivalbesucher die angenehmen Witterungsverhältnisse in vollem Maße genießen, aber selbst für die Fraktion mit den müden Augen beschleunigt sich so immerhin die Regeneration.

Die Red Stage wird am Freitag mit Metal in verschiedenen Varianten bespielt, auf der Blue Stage treten jene Acts auf, die eher nicht in diese Kategorie passen. Bis zum frühen Abend ist beides kein Massenprogramm, die Wege am Campingplatzgelände sind verstopfter als jene vor den Bühnen. Viel los ist vor allem im Karaokezelt eines deutschen Kräuterlikörherstellers, wo inbrünstig 90er-Hits gesungen werden.

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Die bayrische Blasmusik-Gruppe La Brass Banda lockt am Nachmittag erstmals eine größere Menschentraube vorbei an den Jahrmarktattraktionen (falls jemand Bungeespringen oder Karussell fahren möchte) und hin zur Blue Stage. Schwungvolle Brass-Bands sind dankbare Festivalgäste, da werden auch müde Hüften wieder munter. Das Gegenteil ist bei der nachfolgenden Editors-Show der Fall. Die britische Indie-Rock-Band tritt relativ blutleer vor ein bescheidenes Fan-Grüppchen und vermag weder durch brav vorgetragene alte Hadern wie "Munich" noch durch Material vom aktuellen Album zu überzeugen.

Ein wenig mehr Druck kommt da schon von der finnischen Death-Metal-Band Children of Bodom, die unterdessen auf der Red Stage die Freunde der härteren Gangart unterhält. Danach werden Totenköpfe mit Teufelshörnern auf der Bühne platziert, es ist Zeit für Trivium aus Florida und mehr Metal. Sänger Matthew Heafy fordert den größten Moshpit aller Zeiten von seinem Publikum und verleiht seinem Aufruf mehrmals mit "fuckin'" und "motherfuckin'" Nachdruck. Viele Metalheads headbangen trotzdem lieber in wohl der Müdigkeit vom Vortag geschuldeten, hippiesk anmutenden Sitzkreisen.

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Mit der Abenddämmerung kriechen die zehntausenden Nova-Rock-Besucher, die bisher nur zu erahnen waren, aus ihren Zelten. Garbage, deren neues Album "Strange Little Birds" soeben erschienen ist, bekommen vom Publikumsstrom allerdings wenig ab. Frontfrau Shirley Manson bemüht sich redlich und unterhält die Crowd mit Schnurren vom letzten Österreich-Besuch, aber das Gefühl, dass die Faktoren Band, Ort und Zeit hier nicht in optimaler Form zusammentreffen, bleibt.

Eine solche Symbiose lässt sich allerdings gleich im Anschluss bei The Offspring erleben, einer Band, die wohl aus eben diesem Grund gefühlt auf jedes zweite Großfestival gebucht wird. Plötzlich ist was los, die Masse singt und springt, The Offspring senden ihren Punk-Rock druckvoll in den burgenländischen Nachthimmel und wohl bis nach Ungarn hinüber.

Zeitgleich starten die Waliser von Bullet for My Valentine wenige hundert Meter weiter nördlich – die Distanzen sind klein am Nova Rock – auf der Red Stage ihr Metalcore-Gewitter. Sänger Matthew Tuck ehrt per T-Shirt Motörhead und lässt ansonsten seinem Drummer viel Raum, der minutenlang solo auf seine Double Bass Drum eintritt, erst aufhört, als er mit der Applauslautstärke einverstanden ist und so wesentliche Teile der Stagetime alleine bestreitet.

Das Publikum scheint jedenfalls ausreichend aufgewärmt für Headliner Disturbed, wo es erstmals richtig eng wird vor der Red Stage. Die amerikanische Band führt mit ihrer hoffnungslos schmalztriefenden Coverversion von Simon & Garfunkels "The Sound of Silence" aktuell die österreichischen Single-Charts an und tourt erstmals seit ihrer Wiedervereinigung im vergangenen Jahr.

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Just die Performance des Hits "The Sound of Silence" führt die Grenzen des Festivalkonzepts – kurze Wege! – vor Augen. Während Sänger David Draiman pathosschwanger zu den Eröffnungszeilen anhebt, dröhnt von der Blue Stage Marco Michael Wanda lautstark mit den Worten "Ich fall in ein tiefes Loch hinein" herüber. Kein Platz für ruhige Töne. Und ja, Wanda sind der andere Headliner an diesem zweiten Nova-Rock-Tag. Eine österreichische Band spät abends auf so einer Bühne, das ist neu. Die Wiener Band arbeitet sich im Monatsrhythmus auf immer größere Bühnen empor und macht sich nach Gasometer, Stadthalle und Donauinselfest auch am Nova Rock ausgezeichnet, wenngleich sie dort nicht der allergrößte Publikumsmagnet sind.

Und weil es immer noch weitergehen muss beschließt die Erste Allgemeine Verunsicherung als "Late-Night-Special" (oder: passt eigentlich nicht ins Line-Up, könnte aber witzig sein) den Abend mit einer Mischung aus politischen Reden und mal mehr, mal weniger ernstgemeinten Auszügen aus mittlerweile fast 40 Jahren Bandgeschichte. Exklusive Ankündigung: Am Nova Rock 2017 tritt als Late Night Special David "The Hoff" Hasselhoff auf. Da kocht die Menge. (Michael Luger, Sarah Brugner, 11.6.2016)