Wien – Der Akt soll flink wie ein Flügelschlag geschehen. Man möchte hinzufügen: unerwartet und präzise wie eine Attacke aus großer Höhe. Der Ton des Einschnittes zerreißt auch die Luft. Zu sehen ist nur die akrobatische Bewegung der Attentäterin. Der tödlich Getroffene reitet auf seinem Pferd noch ein kleines Stück weiter. Sein Gesicht bleibt abgewandt, aber man kann sich den Ausdruck der Überraschung darauf gut ausmalen.

Der Anschlag steht am Beginn von The Assassin (Nie Yinniang), dem ersten, langerwarteten Wuxia-Film des großen taiwanesischen Regisseurs Hou Hsiao-hsien. Er führt zurück ans Ende der Tang-Dynastie in China, in der das Kaiserreich um seinen Zusammenhalt kämpft. Hous Film ist kein Martial-Arts-Epos, das seinen Schwerpunkt auf physische Auseinandersetzungen legt. Er sucht die kontemplative Durchdringung einer Welt, in der die Figuren zueinander in vielseitigen Abhängigkeiten stehen und jede Handlung wie in einem Schachspiel gut überlegt sein will.

Prunk und Pracht umgibt den Gouverneur der Provinz Weibo – und eine tödliche Gefahr: "The Assassin" von Hou Hsiao-hsien ist ein Historienfilm um einen Zeitenwechsel.
Foto: Spotfilms

Der Prolog ist noch in Schwarz-Weiß gehalten und noch schmaler als im Academy-Bildformat. Die Titelheldin Nie Yinniang (Shu Qui) wird als Profi des Tötens eingeführt. Sie wurde als Kind der Obhut des Kaisers überantwortet, in dessen Auftrag sie nun handelt – oder handeln soll: Denn ebenso wichtig wie ausgeführte Aktionen sind hier jene, von denen man absieht. Die Nonne, die die Schwertkämpferin ausgebildet hat, betrachtet das als ihre Schwäche, als Unreife des Herzens.

In Wahrheit ist es jedoch eine Frage der Moral. Hou versteht seine Heldin nicht als eiskalte Kampfmaschine, weil sie ihm erst den Passagierschein in die inneren Abläufe der Politik jener Zeit überreicht. Sie soll den Gouverneur Tian Ji'an (Chang Chen) aus ihrer Provinz Weibo ausschalten, eine Art Lackmustest ihrer Fähigkeiten, zumal es sich doch um ihren Cousin handelt. Es kommt noch verwickelter: Als Kind war sie ihm als Frau zugesprochen, was die Anbindung der Provinz ans Reich hätte besiegeln sollen.

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The Assassin erzählt von diesen Konstellationen keineswegs geradlinig, sondern stellt Situationen einander gegenüber, was durchaus Konzentration erfordert. Manchmal ist es nur die Rede einer Figur, welche die Vergangenheit ohne Zuhilfenahme von Bildern ausbreitet, anderes geschieht ganz außerhalb des Sichtfelds. Das ist keine Schwäche von Hou, sondern auch eine Form asiatischen Erzählens, das mehr dem Panorama zugeneigt ist als linearen Abfolgen. Abgesehen davon bestimmt die Vergangenheit ja ohnehin die Gegenwart weiter, nicht nur in Yinniangs Taten.

Der Film entfaltet das Drama eines verunglückten Zeitenwechsels zugleich minimalistisch und opulent. Verankert ist es in der Geschichte des 9. Jahrhunderts wie auch in einer Genrewelt, zu der schwarze Magie oder Schwertkampfpassagen gehören. Hou arrangiert sie jedes Mal anders, mal in fast abstrakten Montageschüben, mal aus mittlerer Distanz im Birkenwald. Yinniang selbst gleitet durch den Film wie ein Geist – eine drohende wie mahnende Figur, wie in jener herausragenden Sequenz, in der das Kerzenlicht von Seidenvorhängen reflektiert wird und irgendwann auch das Gesicht der Attentäterin dazwischen erhellt.

Schönheit der Form

Jede einzelne der szenischen Auflösungen ist durchdacht, nicht wenige davon rauben einem in ihrer Schönheit den Atem. Die Landschaftsaufnahmen wissen die Lichtverhältnisse maximal auszunutzen, was dem auf 35-mm-Material gedrehten Film (Kamera: Mark Lee Ping Bing) eine romantische Anmutung verleiht. In den Innenaufnahmen sind es Hous charakteristisch lange Einstellungen, welche Figuren in ihr Umfeld einschreiben, gefangen nehmen – wieder ist es nur Yinniang, die durch ihre Mobilität die Ausnahme darstellt.

Die Frauen spielen in den Filmen des Taiwanesen meist die zentralen Rollen, das ist in The Assassin nicht anders. Die schweigsame Yinniang mag um ihre Biografie betrogen worden sein – dennoch ist es sie, die Tian Ji'an das Geheimnis der Schwangerschaft seiner Konkubine anvertraut. Am Ende ist es wohl der Bruch mit jeder bewährten Strategie, dem Hou hier das Wort redet. (Dominik Kamalzadeh, 16.6.2016)