Purgatorius erhielt seinen Namen, weil er "aus der Hölle kam": Die Gattung dieser kleinen Säugetiere, vermutlich Verwandte der heutigen Primaten, lebte von der Zeit des Asteroideneinschlags für etwa zehn Millionen Jahre. Aber schon davor hatte es Säugetiere in Hülle und Fülle gegeben.

Illustration: Nobu Tamura

Chicago – Das herkömmliche Bild sieht etwa so aus: In der Kreidezeit wuselten zwischen den dominanten Dinosauriern die winzigen Ahnen der heutigen Säugetiere herum. Vom Aussehen her heutigen Spitzmäusen ähnelnd, seien es winzige Allesfresser gewesen, die sich verstecken mussten und deshalb meist nachtaktiv waren. Dann, vor knapp 66 Millionen Jahren, schlug der Asteroid ein und löschte sämtliche großen Tiere an Land aus.

Nachdem die unmittelbaren Folgen der Katastrophe abgeklungen waren, standen den überlebenden Winzlingen plötzlich jede Menge frei gewordener ökologischer Nischen zur Verfügung. Die Säugetiere reagierten darauf mit einer explosiven Zunahme der Arten-, Formen- und Größenvielfalt und schwangen sich binnen einiger Millionen Jahre zur bis heute prägenden Gruppe der Landtiere auf.

Vielfältiger als gedacht

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Bild von den Säugetieren, die während des Dinosaurierzeitalters lebten, allerdings deutlich erweitert. Durch eine Reihe von Fossilienfunden weiß man mittlerweile, dass die Säugetiere schon damals um einiges vielfältiger waren als früher gedacht: Es gab semiaquatische und durch die Luft gleitende Spezies und sogar relativ große Räuber. Repenomamus etwa war immerhin einen Meter lang und dürfte auch junge Dinosaurier erbeutet haben.

Ein Großteil dieser frühen Arten gehörte nicht zu den Theria (Beuteltieren und Plazentatieren), sondern zu Säugetiergruppen, die heute keine Nachfahren mehr haben. Auch bei den Theria war die Vielfalt aber größer als gedacht, berichtet David Grossnickle vom Chicagoer Field Museum of Natural History in den "Proceedings of the Royal Society B".

Früher Aufschwung

Grossnickle untersuchte die Backenzähne hunderter Exemplare kreidezeitlicher Säugetiere; Zähne geben Hinweise auf die Ernährungsweise der Tiere. Er fand eine große Bandbreite an Zahnformen und damit ein klares Anzeichen für unterschiedliche Ernährungsweisen: Es gab damals Allesfresser, aber auch bereits Spezialisten. Und die Auffächerung hatte bereits 10 bis 20 Millionen Jahre vor dem Asteroideneinschlag eingesetzt.

Als mögliche Ursache für diesen Aufschwung sieht der Forscher die seit Beginn der Kreidezeit voranschreitende Ausbreitung und Diversifizierung von Blütenpflanzen. Diese könnten pflanzenfressenden Säugetieren mit ihren Samen und Früchten neue Möglichkeiten geboten haben. Und da sich die Pflanzen zusammen mit Bestäuberinsekten entwickelten, könnten auch insektenfressende Säuger profitiert haben.

Zweiter Start

Dieser unerwartet frühe Aufschwung der Säugetiere endete aber, als der Asteroid einschlug. Grossnickle stellte bei seiner Studie überrascht fest, dass die Diversität der Säuger entgegen der bisherigen Meinung durch die globale Katastrophe erst einmal sank. Erwischt hatte es die frühen Spezialisten – überleben konnten die allesfressenden Generalisten.

Insgesamt gesehen waren die Säugetiere also genauso Opfer des Massenaussterbens wie die Dinosaurier. Erst mit einiger Verzögerung nahm die Erfolgsgeschichte der Säuger dann ihren bekannten Verlauf. Grossnickle stellt ihr mit seiner Studie nun einen bislang verkannten Prolog voran. (jdo, 19. 6. 2016)