Valletta, die Hauptstadt Maltas, wurde 1980 als Gesamtmonument in die Liste des Unesco-Welterbes eingetragen. Ursprünglich war der offizielle Name, den der Malteserorden der Stadt gab, "Humilissima Civitas Vallettae" – die höchst bescheidene Stadt von Valletta. Diese war durch einen ganzen Ring aus Bastionen geschützt.

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Oliver Friggieri ist Schriftsteller und Uniprofessor.

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In der Geschichte europäischen Denkens wurde das Konzept der kontinentalen Einigung oft für eine ideale Sicht unerreichbarer Werte gehalten, die traditionell mehr Ähnlichkeit mit den grenzenlosen Träumen fehlgeleiteter Dichter und anderer wirklichkeitsfremder Denker hatten als mit kalkulierten Maßnahmen von Volkswirten.

Die Europäische Union war sowohl ein harmloser immer wiederkehrender Traum als auch ein antikes Konzept, das zu einem festen Meilenstein in der unberechenbaren Geschichte des Nachkriegseuropa geworden ist und zu einem erstaunlichen Erfolg beispiellosen Ausmaßes in jeglicher – politischer, kultureller und sozialer – Hinsicht.

Wider die Einsamkeit

Die Union als solche ist jedenfalls eine positive Entwicklung, die Zusammenarbeit unterschiedlicher Art gewährleistet und sich der Einsamkeit – in all ihren düsteren Erscheinungsformen – widersetzt. Ihre Errungenschaften sind weitreichend, alle Lebensbereiche umfassend und haben sich wiederholt als effizient genug erwiesen, sogar Drittstaaten zu beeinflussen.

All das wurde durch den raschen technologischen Fortschritt stark vorangetrieben. Es gibt zahlreiche unterschiedliche positive Ergebnisse, aber eines von ihnen sticht besonders heraus: Die Europäische Union hat gezeigt, dass Demokratie in jedem Fall alleiniges Kriterium sein sollte.

Die ganze Welt wurde Zeugin davon, wie 28 unabhängige, unterschiedlich große und einflussreiche Staaten – die zwar stolz auf ihre eigene kulturelle Identität sind, doch auch dazu bereit sind, diese mit dem Rest zu teilen – einen friedlichen Weg gewählt haben. Diese Staaten haben sich dazu entschlossen, sich mit individueller Unabhängigkeit im Rahmen eines Gemeinschaftsvertrages, dem gegenseitige Abhängigkeit zugrunde liegt, zu beschäftigen.

Erste Lehre: Zusammenarbeit

"Die große Kette des Europäischseins": Diese neue multinationale "Republik" ist offenbar nicht nur wirtschaftlicher, sondern vor allem kultureller Natur und hat es geschafft, eine Grundwahrheit ans Licht bringen: Zusammenarbeit ist die erste Lehre, die der europäische Geist aus seiner Fähigkeit, Grenzen zu überwinden und nach Einheit zu streben, gezogen hat.

Wenngleich die Einigung Europas eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts ist, zeigt sich in den aktuellen Trends der Geschichte europäischer Kunst und Philosophie das Bedürfnis auf "das Andere" zuzugehen, es zu entdecken und zu verstehen und eine gute Beziehung mit ihm aufzubauen.

Aus philosophischer Sicht ist die Europäische Union ein Versuch, eine funktionierende Alternative zu bieten zu der Tatsache, dass all das als "Andersartigkeit" bezeichnet wird, was eine Bedrohung für die Sicherheit darstellt; eine Sicherheit, von der man glaubt, dass nur das eigene Selbst dafür Sorge tragen kann. Paul Ricoeur fasst diesen Zugang mit der Aussage "Ich bin der Andere" zusammen.

Das Prinzip der Europäischen Union, dass Einheit und Vielfalt zusammenpassen, einander gar bedingen, gewährleistet den Erhalt nationaler Identität und fördert zugleich kontinentale Einheit. Beide Konzepte werden mithilfe strenger Haushaltsplanung in praktische Projekte umgesetzt. Der lokale Tourismus hat ganz offensichtlich von diesem Zugang profitiert.

Einheit durch Vielfalt

Renaissance, Aufklärung und Romantik sind in sich selbst Epochen, deren Charakter durch eine zweifache Entdeckung bestimmt wurde; die Entdeckung des eigenen individuellen Selbst und des kollektiven Selbst der gesamten Gruppe. Allmählich bedeutete Einigung, dass Natur und Kultur einander zwangsläufig ähneln.

Beide müssen daher zwingend in einer Art und Weise zusammenarbeiten, durch die Individualität nur als vollkommen verstanden werden kann, sofern diese auch aus politischer Sicht als das gesehen wird, was sie automatisch ist: unvollkommen.

Die Europäische Union hat bis heute versucht, zu beweisen, dass dieser philosophische Grundsatz richtig und von Dauer ist. Alle Mitgliedsstaaten haben ihre eigene alte Geschichte zu erzählen und tun dies durch ihre jeweiligen Kunstströmungen.

Größe, Macht, geografische Lage und Klima sind jene Bestandteile, die Europa zu einem wahrhaftigen "Fest fürs Leben" machen, zu dem Endprodukt eines langen Prozesses, der endlich bei der letzten Etappe seiner Entwicklung angelangt ist; über dieser Einigung kann es schließlich keine höhere Stufe mehr geben, da die Grundlage dieses Einssein die Einheit durch Vielfalt und ein gemeinsames Verständnis hinsichtlich wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Kriterien ist.

Im Aufbau

Die EU misst dem Erhalt des Gleichgewichts zwischen dem individuellen und dem kollektiven Bewusstsein offenkundig eine überragende Bedeutung bei. Ihre Errungenschaften dürfen zu einem Zeitpunkt, zu dem die symbolische Vision "eines gemeinsamen Hauses" überzeugender wird, nicht unterschätzt werden. Die Verbreitung und Vertiefung von Umweltbewusstsein ist schließlich primär diesem Aspekt geschuldet.

Die Erfahrung bietet neue aufschlussreiche Lehren, und dadurch wird jedes Land besser verstehen, wie es sich in einem größeren Selbst definiert, und erkennen, dass dies für den Erhalt der Einheit unabdingbar ist. Einheit ist schließlich ein Wort, das in Europas Nachkriegswörterbuch Friede bedeutet.

Das Projekt eines vollständig geeinten Europa – einer "internationalen Institution" ebenso wie eines "nationalen Kontinents" – ist immer noch im Aufbau. Das Bild ist noch unvollständig, und rasche Veränderungen bedingen die Notwendigkeit für neue Forschung. Doch man hat viel gelernt, und dies wird den politischen Leitfiguren dabei helfen, die richtige Einstellung einzunehmen und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen.

Regionalität, Größe, geografische Beschaffenheit und Lage, kulturelle Vielfalt und Bevölkerungsdichte: Diese und andere Themen müssen sorgfältig betrachtet werden, um festzustellen, dass Integration tatsächlich die Erlangung einer durchwegs positiven Phase bedeutet, die aufgrund der Natur des Menschen und der europäischen Kultur von Anfang an gerechtfertigt war. (Oliver Friggieri, 20.6.2016)