Man kann Hans Niessls Verärgerung verstehen. Die rot-schwarze Koalition ist eine der Verärgerten. Der über den jeweiligen Partner Verärgerten. Auch der ob der Ausweglosigkeit dieser Partnerschaft Verärgerten.

Nun ist der burgenländische Landeshauptmann aber einer jener Sozialdemokraten, die die rot-schwarze Partnerschaft nicht so ausweglos sehen. Er wagt es, nicht nur seine Verärgerung über die Winkelzüge des ÖVP-Klubchefs Reinhold Lopatka, sondern durchaus auch die Option von Neuwahlen anzusprechen. Aufregung allerorten. Gut kalkuliert! Taktik aufgegangen. Man könnte meinen, Niessl geriere sich eben als der Lopatka der SPÖ – und man könnte ebenso meinen, dass Niessls Sticheleien gegen den Koalitionspartner dem roten Parteichef Christian Kern ebenso ins taktische Repertoire passen, wie die Sticheleien Lopatkas von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner bei passender Gelegenheit eingesetzt werden könnten.

Hinter der Ansage Niessls könnte aber mehr stecken als die taktische Warnung: "Passt auf, wir haben da auch eine Alternative!" Es könnte eine weitergehende Strategie erprobt werden: Wenn der rot-blaue Querverbinder Niessl, der im Burgenland nach anfänglicher Aufregung recht erfolgreich eine rot-blaue Landesregierung führt, von Neuwahlen spricht, dann spricht er damit gleichzeitig eine rot-blaue Option für nach der Wahl an. So wird aus dem taktischen Spiel der Test für eine alternative SPÖ-Strategie. (Conrad Seidl, 19.6.2016)