Aktion der Armutskonferenz vor dem Sozialministerium im April: Kürzungen treffen die Ärmsten am härtesten – und hier vor allem Kinder.

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Die Göttinger Migrationsrechtsexpertin Christine Langenfeld hat in Sachen Asyl eine klare Haltung. Es brauche "mehr EU statt weniger, weniger Nationalstaat statt mehr", um das Flüchtlingsproblem zu lösen, sagte die Professorin kürzlich bei der Semester-Abschlussveranstaltung der Universität Wien zum Thema Migration.

Der Andrang in die EU könne nur gesamteuropäisch bewältigt werden, argumentierte sie. Europa müsse entscheiden, ob und welche Art von aktiver Migrationspolitik es betreiben wolle. Dann könne einerseits nicht sein, dass sich Flüchtlinge bestimmte Zielländer "aussuchen" – genauso wenig, wie bestimmte Länder sich aussuchen, dass sie lieber gar keine Neuankömmlinge aufnehmen.

Für immer föderal

So, wie Langenfeld ihre Position argumentierte, klang das logisch, nachvollziehbar und als für alle Seiten brauchbarer und auch nützlicher "Deal". Allerdings: Wer die österreichischen Verhältnisse gut kennt – und das taten viele an diesem Abend im Festsaal der Uni Wien –, musste schmunzeln. Kompetenzen abgeben? Gar Bürokratie abbauen? Wie denn, wo denn, was denn?

Das hat man hierzulande schon so oft gehört, auch bei politisch weniger umstrittenen Themen – und zumeist endete es mit dem genauen Gegenteil. Ein Mehr an Zersplitterung, ein Hoch auf den Föderalismus – und damit auch ein Mehr an (zumeist teurem) Aufwand.

Was für die Asyl- und Einwanderungspolitik insgesamt gelten sollte, gilt doppelt für das in diesem Zusammenhang immer wieder strapazierte Subthema Mindestsicherung. Wer kann ernsthaft gut finden, dass hier jedes Bundesland seine eigene Suppe kocht? Glaubt man ernsthaft, nur auf Länderebene Leistungsanreize schaffen zu können? Sind 2000 Euro Zuschuss zum Familieneinkommen in Oberösterreich schon ein Beispiel für die soziale Hängematte, in Wien aber nicht?

Es lebe der Unterschied

Dass der Umgang mit dem Thema zwischen Boden- und Neusiedler See so unterschiedlich ist, wird gern auf die Tatsache geschoben, dass die Sozialhilfe eben, von Land zu Land unterschiedlich, historisch gewachsen sei – und die "bedarfsorientierte Mindestsicherung", wie sie korrekt heißt, in dieser Tradition im Wesentlichen weiter bestehe. ÖVP-Chef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sagte kürzlich im STANDARD-Interview zum Thema: "Sinnvoll wäre eine gleiche Regelung für alle. Aber nachdem es unterschiedliche Bundesländer mit unterschiedlichen Konstellationen gibt, sind auch andere Umsetzungen gerechtfertigt."

Gerechtfertigt in welcher Hinsicht? Den Betroffenen gegenüber sicherlich nicht. Mitterlehner tat das Ausscheren ÖVP-geführter Bundesländer aus der bisherigen Förderpraxis so ab: Erfreulicherweise gebe es "eine Dominanz schwarzer Bundesländer in Österreich. Mit uns fährt niemand Schlitten, wir agieren da gemeinsam." Man fragt sich, was das übersetzt heißen soll: Wir tun, was wir wollen, auch wenn es gesamtstaatlich gesehen vielleicht nicht sinnvoll ist?

Etwas zum Nachdenken

Insgesamt sind das schwache Argumente, die im Zuge des Finanzausgleichs durchaus noch einmal aufgegriffen werden sollte: Es muss ja wohl für die Bewertung, ob jemand unterstützungswürdig ist oder nicht, völlig egal sein, ob er in Bregenz, Wels, Hintertupfing oder Oberstinkenbrunn wohnt. Dass dies zusätzlich dazu führt, dass es innerhalb Österreichs zu einem Sozialhilfe-Tourismus kommt, ist manchen Landespolitikern vielleicht egal – aber einem Bundesminister sollte das sehr wohl zu denken geben.

Verkehrt herum aufgezäumt wird das Thema sowieso, wenn man glaubt, man könne über das Reizthema Ausländer/Asylwerber/Flüchtlinge quasi über die Hintertür insgesamt bei Sozialleistungen etwas einsparen. Ohnehin werden den Neuankömmlingen genügend Steine in den Weg geworfen: Sie dürfen lange Zeit nicht arbeiten, sie leben in teuren und zum Teil höchst fragwürdigen Unterkünften, es gibt nicht genügend Deutschkurse für sie. Kürzt man ihnen die Hilfen oder schließt sie gar aus, wie es etwa Niederösterreich bei subsidiär Schutzberechtigten tut, trifft es am Ende vor allem die Kinder – jene neue Generation, um die sich Österreich schon aus Eigenliebe kümmern sollte.

Tabuthema Zentralismus

Sozialminister Alois Stöger hat darauf wiederholt hingewiesen – immerhin, wenn ihm auch sonst zum Thema nicht wahnsinnig viel einfällt.

Offenbar ist es mittlerweile auch bei Sozialdemokraten verpönt, gegen (falsch verstandenen) Föderalismus zu argumentieren und für (richtig angewandten) Zentralismus zu plädieren. Das ist falsch: Denn zersplitterte Kleinlösungen binden Zeit, Personal, Geld, das anderweitig besser und effizienter eingesetzt werden könnte – ohne dass es zu sozialen Kahlschlägen kommt. (22.6. 2015, Petra Stuiber)