Der Sexualforscher und Arzt Magnus Hirschfeld gilt als Begründer der ersten deutschsprachigen Homosexuellenbewegung. Hier (Zweiter von rechts) im Kreise von FreundInnen um 1920.

Foto: Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft

Die letzte Verurteilung wegen "gleichgeschlechtlicher Unzucht" traf im Juli 1971 einen 29-jährigen Textilarbeiter am Wiener Landesgericht für Strafsachen. Einen Monat später wurden homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen im Zuge der "Kleinen Strafrechtsreform" straffrei gestellt. Für die Enttabuisierung der Homosexualität waren die zweite Frauenbewegung und die Schwulen- und Lesbenbewegung der 1970er-Jahre die Wegbereiterinnen. Wenig bekannt ist, dass die Anfänge der Homosexuellenbewegung bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen.

Männliche Frauen, weibliche Männer

Der deutsche Sexualforscher und Arzt Magnus Hirschfeld gilt als Begründer der ersten deutschsprachigen Homosexuellenbewegung. In seinem 1896 veröffentlichten Beitrag "Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts?" stellt er erstmals seine Lehre von den sexuellen Zwischenstufen vor. Darin bricht er mit der binären Geschlechterordnung und ordnet Männer und Frauen auf einer "biologischen Skala" ein: Alle Menschen seien Zwischenstufen, Mischungen aus männlichen und weiblichen Eigenschaften. Die Extrempole bildeten der "Vollmann" und das "Vollweib". Homosexualität nimmt Hirschfeld in einem erweiterten Spektrum der Normalität wahr. Zudem vertritt er die These von einem dritten Geschlecht und plädiert für die Verschiedenheit der Menschen – für Gender-Diversity also.

1897 gründet Hirschfeld gemeinsam mit Max Spohr das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) in Berlin – die erste Homosexuellenorganisation der Geschichte. "Hirschfeld war oft in Wien, hatte Vorträge gehalten und war beteiligt an der Gründung von Zweigstellen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees in Wien" sagt Christopher Treiblmayr, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am QWien – Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte. "Hirschfeld hat die Identitätskonzepte männerliebender Männer stark beeinflusst."

Orte lesbischer Subkultur

Auch frauenliebende Frauen waren an Hirschfelds Aktivitäten interessiert. "Die lesbische und Trans-Kultur, die in Österreich erst in den 1920er-Jahren sichtbar wurde, hatte vordergründig wenig mit der Frauenbewegung und deren feministischen Diskursen zu tun", sagt Hanna Hacker, Soziologin und queer-feministische Theoretikerin an der Uni Wien. Gleichgeschlechtlich liebende Frauen verhielten sich der männerdominierten ersten Homosexuellenbewegung gegenüber eher distanziert. Sie hatten ihre eigenen Orte lesbischer Subkultur und trafen sich in Damenklubs und Frauenlokalen. Ein Grund war "die aktive Frauenfeindlichkeit der führenden männlichen Personen in den Kämpfen der Homosexuellen", wie Hacker ausführt.

Anders als in vielen europäischen Ländern, darunter Deutschland, standen in Österreich auch gleichgeschlechtliche Sexualkontakte zwischen Frauen unter Strafe. Das Totalverbot homosexueller Handlungen für Männer und Frauen wurde von 1852 bis 1971 durch den Paragrafen 129 1b geregelt. Fünf Jahre schwerer Kerker war die Strafe für Personen, die aufgrund von "Unzucht wider die Natur" verurteilt worden waren.

"Es ist nicht so, dass über weibliche Homosexualität nur geschwiegen wurde", sagt Hacker. Im Gegenteil: In der Medizin existierte im 19. Jahrhundert ein lebhafter Diskurs zu weiblicher Selbstbefriedigung und zu Begehren zwischen Frauen. Unter Juristen gab es zu dieser Zeit immer wieder Debatten um den Paragrafen 129 1b und darüber, wann der Tatbestand bei Frauen erfüllt sei, erzählt Hacker. "Es war sicherlich eine Strategie, zu leugnen, aber das Leugnen war auch aktiv und nicht stumm."

Homosexuellenrechte sind Menschenrechte

Eine besondere Stellung im Kampf gegen Verfolgung und Kriminalisierung Homosexueller nahm die Ekstein-Petition von 1930 ein. Der Wiener Rechtsanwalt Otto Ekstein forderte damals ausdrücklich die Abschaffung des Paragrafen 129 1b. Treiblmayr streicht hier das große Engagement einer zivilgesellschaftlichen Organisation für Homosexuellenrechte heraus: der Österreichischen Liga für Menschenrechte. Die 1926 gegründete Liga verfolgte dabei einen universellen Menschenrechtsschutzgedanken. Zu den Unterzeichnerinnen der Petition zählte auch die österreichische Feministin Rosa Mayreder.

Mit der Machtübernahme der Nazis wurden die Bemühungen der ersten Homosexuellenbewegung zunichtegemacht. Die NS-Zeit war die Epoche der schärfsten Homosexuellenverfolgung in der neueren Geschichte. Bis heute ist es nicht gelungen, den in Österreich als Homosexuelle verfolgten Opfern des NS-Regimes ein nationales Denkmal zu errichten – darauf verweist auch eine Tagung an der Universität Wien mit dem Titel "45 Jahre ‚Kleine Strafrechtsreform‘ – Kontinuitäten und Brüche im Umgang mit Homosexualität(en) in Österreich im 20. Jahrhundert". Homosexuelle galten nach 1945 nicht einmal als Opfer, sondern als zu Recht Verurteilte. Erst im Jahr 2005 wurden sie in das Opferfürsorgegesetz aufgenommen.

Auch 45 Jahre nach Aufhebung des Totalverbots gleichgeschlechtlicher Sexualkontakte ist eine völlige Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans‐Personen und Intersexuellen mit allen anderen StaatsbürgerInnen im österreichischen Recht nicht erreicht. Treiblmayr: "Österreich hat in Mitteleuropa nie eine Vorreiterrolle eingenommen, was die Antidiskriminierung von Homosexuellen betrifft." (Christine Tragler, 24.6.2016)