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Foto: REUTERS/Toby Melville

Mit dem Austritt der Briten ist die EU nicht mehr das, was sie war, Europa hat auf der Weltbühne an Gewicht verloren. Die Staatengemeinschaft verliert nicht einfach ein Mitglied, sondern bekommt die Rechnung präsentiert für die Fehlentwicklungen und Krisen, aus denen keine oder nur ungenügende Konsequenzen gezogen wurden. Die Union hat in den vergangenen Jahren in raschem Tempo neue Mitglieder aufgenommen, sich aber zu wenig um die eigene Verfasstheit gekümmert.

Schon in der Eurokrise hat sich das Fehlen einer politischen Union und zentraler Steuerungsmöglichkeiten als Konstruktionsproblem erwiesen. Aber die Zeit wurde nicht genutzt, um daraus Konsequenzen zu ziehen. Es bleibt sogar folgenlos, wenn sich Mitglieder weigern, eine gemeinsame Vereinbarung umzusetzen – wie man bei der Verteilung der Flüchtlinge sieht. Spürbare Sanktionen gegen die Verweigerer blieben bisher aus.

All das führte zu einem Glaubwürdigkeitsverlust. Die EU ist ein Eliten-, aber kein Herzensprojekt der Bürger. Brüssel wird als Bürokratiemonster und als Regulierungsmacht wahrgenommen, wie man auch am Umgang mit Griechenland gesehen hat. Die positiven Aspekte wie mehr Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz existieren im Bewusstsein der meisten nicht. Dass die einzelnen Staaten im globalen Wettbewerb weit weniger Chancen hätten denn im Verbund, ist den einzelnen Bürgern nicht zu vermitteln.

Gefühl von Ohnmacht

Es überwiegt das Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins, des Nicht-Mitbestimmen-Könnens. Exemplarisch dafür stehen die Verhandlungen über die Freihandelsabkommen TTIP mit den USA und Ceta mit Kanada. Die Geheimhaltung schürt Misstrauen. Das Demokratiedefizit zeigt sich auch darin, dass das EU-Parlament noch immer zu wenig Eingriffsmöglichkeit hat und das Initiativrecht von der Kommission ausgeht.

Eine Bewegung raus aus der EU gibt es nicht nur in Großbritannien. In Österreich sind laut Eurobarometer 45 Prozent der Ansicht, dass man außerhalb der EU besser für die Zukunft gerüstet wäre, der EU-weite Durchschnittswert liegt bei 35 Prozent. Auch wenn FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache – im Gegensatz zu Front-National-Chefin Marine Le Pen – derzeit keine Volksabstimmung anstrebt, so kann sich das rasch ändern. Auch Strache hält sich die Option offen.

Übliche Reaktionen in Brüssel

Die ersten Reaktionen der EU-Spitzen in Brüssel lassen darauf schließen, dass sie weitermachen wollen wie bisher und nicht an den Grundfesten zu rütteln beabsichtigen. Die Sicht, dass eben die dummen Wähler einfach das Projekt nicht verstanden haben, gab es schon nach den gescheiterten Verfassungsreferenden. Mit kleinen Schritten ist es aber nicht mehr getan, die EU braucht eine Neuaufstellung.

Zuerst sollte offen über die Erwartungen diskutiert werden: Soll die EU nur ein großer gemeinsamer Markt, soll sie eine politische Union sein, oder geht es lediglich darum, möglichst viel Beihilfen abzusahnen? Wer ist bereit, bei was mitzumachen – Vor- und Nachteile inklusive? Es sollte dann analysiert werden, welche Ebene für welche Aufgaben am besten geeignet ist; die Nationalstaaten, aber auch die EU-Kommission müssen bereit sein, Kompetenzen abzugeben. Die Bürger – oder zumindest die direkt gewählten Parlamentarier – müssen mehr Mitbestimmungsrechte erhalten. Nur wenn die EU von ihren Bürgern mitgetragen wird, hat das Projekt eine Zukunft.

(Alexandra Föderl-Schmid, 24.6.2016)