Viele erinnern sich noch an den Fall der betagten Amerikanerin vor mehr als 20 Jahren, die sich beim Verschütten von McDonald's-Kaffee die Haut verbrühte und dann in erster Instanz Millionen an Entschädigung zubesprochen bekam. Das – in der Berufung stark reduzierte – Urteil wurde weltweit zum Sinnbild der absurden US-Justiz, in der ständig geklagt und exzessive Schadenersatzzahlungen erstritten werden.

Amerikanische VW-Besitzer profitieren nun von genau dieser Rechtskultur. Bis zu 10.000 Dollar wird ihnen dank eines Deals zwischen dem Konzern und der US-Umweltbehörde EPA zugesprochen, weil der deutsche Autoriese bei Abgaswerten geschummelt hatte. Das Einzige, worauf europäische Autobesitzer ein klares Anrecht haben, ist ein Besuch in der Werkstatt und ein Software-Update.

Das ist ein Glück für VW. Die knapp 14 Milliarden Euro, die ihn der gesamte Vergleich kostet, ist mehr, als in Wolfsburg bisher prognostiziert wurde. Ähnliche Summen für die viel zahlreicheren VW-Kunden in Europa würden den Konzern sicher in die Insolvenz treiben. Dennoch fragen sich viele heimische Autofahrer, warum sie schlechter behandelt werden als Amerikaner.

Die Antwort liegt im unterschiedlichen Rechtswesen in Europa und den USA. Hier genießen Verbraucher einen strengeren Schutz durch Vorschriften und Regeln; wenn aber dennoch etwas schiefgeht, können sie im Gegenzug nur mit viel weniger Schadenersatz rechnen. Bei ärztlichen Kunstfehlern sorgt das in vielen Einzelfällen für Empörung. Man darf aber nicht vergessen, dass die teuren US-Gerichtsurteile letztlich von den Bürgern selbst in Form von höheren Kosten für viele Produkte und Dienstleistungen gezahlt werden.

Beim Dieselskandal stellt sich überhaupt die Frage, ob ein Autobesitzer materiell geschädigt wird, wenn sein Wagen höhere Abgase verursacht als erlaubt. Der ÖAMTC bezweifelt das und rät Mitgliedern mit Hinweis auf die bisherige Judikatur vom Rechtsweg ab. Verbraucherschützer sehen das anders. Aber selbst wenn ihre Sammelklagen Erfolg haben sollten, würden die erstrittenen Summen kaum das US-Niveau erreichen.

An dem Schaden für die Allgemeinheit durch die verpestete Luft tragen wiederum nicht nur die Autobauer, sondern auch europäische Gesetzgeber und Behörden die Schuld. Sie haben der Industrie Schlupflöcher eröffnet und die bestehenden Auflagen nicht ordentlich kontrolliert. Im Vergleich zu den USA, wo Abgaslimits niedriger sind und strikter kontrolliert werden, ist VW in Europa ein juristisches Fehlverhalten schwerer nachzuweisen.

Wer nun für hiesige Verbraucher die gleichen Rechte wie in den USA einfordert, tritt damit implizit für die Angleichung der Rechtsordnungen dies- und jenseits des Atlantiks ein – genau das, was etwa die Gegner des Freihandelsabkommens TTIP vehement ablehnen. Sogar in der EU verhindern nationale Eigenheiten die Harmonisierung des Konsumentenschutzes, obwohl dies für den digitalen Handel von großer Bedeutung wäre.

Heimische VW-Kunden müssen es daher hinnehmen, dass andere finanziell besser aussteigen als sie. Selbst eine rasche Einführung der längst überfälligen Gruppenklagen in Österreich würde ihnen nichts nutzen. Aber dieses Unrecht ist verkraftbar. Wichtiger ist, dass die Abgaswerte in Zukunft eingehalten werden. Dafür aber ist weniger die Justiz als die Politik gefordert. (Eric Frey, 28.6.2016)