Armando (Alfredo Castro, re.) und Elder (Luis Silva) gehen ein Verhältnis ein, in dem die Abhängigkeiten zu changieren beginnen: Als Gesellschaftsparabel wirkt "Desde allá" von Lorenzo Vigas etwas überfrachtet.

Foto: Filmladen

Wien – Das Begehren lenkt den Blick durchs Menschengewirr. Armando (Alfredo Castro), ein wohlsituierter Zahntechniker, ist auf den lauten Straßen von Caracas unterwegs. Die Kamera heftet sich an ihn, nimmt seinen Hinterkopf ins Visier. Ein junger Mann findet Armandos Aufmerksamkeit, er rückt an einer Kreuzung ein wenig zu nah an ihn heran, im Bus nimmt er neben ihm Platz.

Dann steht der Bursche mit entblößtem Hintern bei dem älteren Mann in der abdunkelten Wohnung. Armando verschafft seiner Lust Erleichterung. Es bleibt beim Ansehen, zu Berührungen kommt es nicht. Ein Geschäft.

Desde allá (Aus der Ferne) – auf Deutsch mit dem irreführenden Arthouse-Titel Caracas, eine Liebe versehen – erzählt davon, was passiert, wenn diese Distanz durchbrochen wird. Der nächste Freier, den Armando mit nach Hause nimmt, der Automechaniker Elder (Luis Silva), geht auf den Deal nicht ein, sondern attackiert ihn körperlich. Doch Armandos Reaktion auf den machoiden Jüngeren ist paradox, denn er beginnt Elder auf den Straßen wieder zu suchen; und je stärker die Ablehnung des einen, umso vehementer gerät der Anspruch des anderen. Daraus erwächst ein ambivalentes Verhältnis, das von zu vielen Interessen verunreinigt wird, um zu funktionieren – nicht zuletzt von dem Klassengegensatz der beiden Männer.

Sozialkritisch, kunstfertig

Desde allá ist der Debütfilm des venezolanischen Regisseurs Lorenzo Vigas, der 2015 auf dem Filmfestival von Venedig überraschend mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Tatsächlich erscheint er wie für das Format Festivalfilm produziert: sozialkritisch, kunstfertig in der Form und mit entsprechender Produktionsexpertise in die Welt geschickt.

Mit dem Autor Guillermo Arriaga, der mehrmals mit Alejandro González Iñárritu (Amores perros) zusammengearbeitet hat, und dem Produzenten Michel Franco finden sich zwei prominente Mexikaner im Stab, die Kamera führte Sergio Armstrong, der wie der Darsteller Castro für seine Arbeit mit dem chilenischen Regisseur Pablo Larraín bekannt ist.

Schon Armstrongs Aufnahmen, die im Stadtraum den Fokus in der Tiefenschärfe variieren und sich auf die gestische Präsenz der Darsteller konzentrieren, rufen ein visuelles Vokabular ab, das im sozialrealistischen Kino schon schablonenhaft wirkt. Die Beziehung zwischen den beiden Männern bleibt zu repräsentativ, mehr eine Idee als widersprüchliches Leben. Die wechselseitigen Abhängigkeiten spiegeln immer auch soziale Gefälle der venezolanischen Gesellschaft wider.

Es sind kleine Spannungsinjektionen, die das Drama um überspannte Männlichkeitsbilder am Leben erhalten – unerwartete Manöver, die aus Menschen hervorbrechen, die sich auf keiner Ebenen einig werden können und zwischen Lust, Selbstekel und Gewalt oszillieren. Homophobie bleibt unterschwellig der entscheidende Fallstrick dieses schwulen Paares. (Dominik Kamalzadeh, 30.6.2016)