Die Preisträger der 40. Tage der deutschsprachigen Literatur: (v. li.) Stefanie Sargnagel (Publikumspreis), Sharon Dodua Otoo (Hauptpreis), Julia Wolf (3sat-Preis), Dieter Zwicky (Kelag-Preis).

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Sharon Dodua Otoo bei ihrer Lesung.

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Klagenfurt – Es war wieder einmal sehr schön: Sommer, Sonne, See. Erst am Sonntag kam der Regen, als würde er die Zuschauerzahlen im Fernsehen doch ein wenig nach oben treiben wollen. Gewiss ist dieses für den Bewerb wichtiger als umgekehrt (Reichweite, Prestige, Werbewert), auch wenn die Lesetage heuer erstmalig professionell in den Social Media begleitet wurden. Für den Lendhafen, wo in den letzten Tagen getanzt, getrunken und genetzwerkt wurde, war der Regen egal. Das Literaturvölkchen hatte seine Koffer da schon gepackt und den diversen Hotellobbys zur Verwahrung überlassen.

Nicht marktkonforme, dafür Risiko nehmende Texte hatten sich Juryvorsitzender Hubert Winkels und sein Vorgänger Burkhard Spinnen am Mittwochabend bei der Begrüßung in Klagenfurt gewünscht. Diesen Wunsch teilten zahlreiche über den Straßen der Innenstadt wehende Fähnchen. Etwa jenes Tex Rubinowitz (Gewinner 2014) gewidmete: "Man kann keine Literatur schreiben, wenn man Literatur schreiben will ...", wird der Zeichner darauf zitiert.

Ein Schlag ins Gesicht so mancher Schreibschulschüler. Und Rückenwind für Stefanie Sargnagel? Entgegen dem anfänglichen Trubel um die heftig geliebte und ebenso heftig angefeindete Starterin, verteilte sich die Aufmerksamkeit während des Wettbewerbs durchaus fair. Vielleicht auch, weil sie gleich am Donnerstagvormittag als erste ans Pult und lesen musste. Hatte sich jemand einen kleinen Skandal erhofft, so wurde er enttäuscht.

Interesse am "Fremden"

Was hat man zur 40. Ausgabe des Bewerbs also zu Ohren bekommen? Vor allem Interesse am "Fremden", wie Winkels in seiner Abschlussrede betonte. Gute Literatur könne keine "Schnellschussliteratur" sein, doch man bemerke ein "Hineinregnen der Welt". Tatsächlich griffen zwar fast alle Autoren zu Ich-Erzählern, nabelschauende Befindlichkeitsprosa kam dabei aber nicht heraus. Stattdessen: ein Interesse am Gegenüber (gleich drei junge Frauen schrieben über ältere Männer und in deren Leben einbrechende Irritationen) sowie die Beschäftigung mit Krieg, Migration und Zukunftsdystopien.

"Daraus kann man Schlüsse ziehen, das kann aber auch Zufall sein", so Winkels, jedenfalls sei diese Anknüpfung an aktuelle Themen aber, was die Veranstaltung immer noch "hoch attraktiv" mache. Außerdem brauche es trotz Blogs und anderer neuer Formen der Beschäftigung mit Literatur die "hermeneutische Anstrengung" immer noch. Das war wohl noch einmal ein Verweis auf seine Eröffnungskritik an der Spaßkultur.

Formal stießen die Juroren bei ihrem hermeneutischen Sekundärwerk heuer gerade wegen dieses "Hineinregnens" einige Male an die Grenzen ihres germanistischen Instrumentariums. Und damit die Diskussionen auf interessante Problemfelder: Wann kann sich ein Text fruchtbar von literarischen Traditionen freimachen? Ist die Grundbeherrschung einer Sprache Voraussetzung für literarisches Schreiben? Nachdem nun alle Texte gelesen sind und die allermeisten Antretenden bald wieder vergessen sein werden, sind es vielleicht gerade solche Fragen, die am stärksten für diese Art des öffentlichen Dichtens und Richtens sprechen.

Preisträger und Pechvogel

Der mit 25.000 Euro dotierte namensgebende Hauptpreis ging heuer an die in London geborene und in Berlin lebende Sharon Dodua Otoo für ihren Text Herr Gröttrup setzt sich hin über ein widerspenstiges Ei auf einem klischeehaft-biederen deutschen Frühstückstisch.

Das vorjährige Voting-Unglückssystem mit automatischer Nominierung des je Zweitplatzierten für den nächstfolgenden Preis hat man heuer wieder aufgegeben, dennoch erging es Marko Dinić, in Wien geboren, in Salzburg lebend und Inhaber eines serbischen Passes, nicht besser als Theresa Präauer damals: Er war als ewiger Zweiter der Pechvogel der Abstimmung. (Aber wie sagte schon Hellmuth Karasek, einst Juror in Klagenfurt: hier sei nicht der Punkt, an dem die Gerechtigkeit der Welt verteilt werde, einen solchen gebe es gar nicht.)

Den Kelag-Preis (10.000 Euro) bekam also der Schweizer Dieter Zwicky (Los Alamos ist winzig) zugesprochen und sorgte mit seinem Statement "Ich freue mich extrem und gleichzeitig habe ich die Aufgabe, gefasst zu sein" für den Lacher des Tages. Den 3sat-Preis (7500 Euro) erhielt die Deutsche Julia Wolf (Walter Nowak bleibt liegen).

Mit Würde durch die Midlifecrisis

Stefanie Sargnagel schaffte es trotz durchweg positiver Kritiken nach ihrer Lesung von Penne vom Kika nicht auf die Shortlist für die drei Jurypreise, wurde dafür aber mit dem online abgestimmten BKS-Publikumspreis (7000 Euro) entschädigt. Mit Sonnenbrille und dem Faustgruß ihrer Burschenschaft Hysteria nahm sie ihn entgegen. "Die Welt sehnt sich nach dem Matriarchat", kommentierte sie Otoos Sieg. Wofür die Hysteria stehe? "Wofür Burschenschaften stehen: für traditionelle Werte und einen Bund fürs Leben", sprach’s, und vor den Türen begann’s zu jubeln.

Marketingtechnisch jedenfalls war es keine schlechte Idee, sie einzuladen. Ebenso als Überdruckventil zum Schutz vor der Midlifecrisis: In Würde zu altern, wie Lesetage-Moderator Christian Ankowitsch als Herausforderung zum 40er der Tage der deutschsprachigen Literatur ausrief, schaffte der Bachmannpreis heuer ganz gut.

WInkels' Resümee

Auf die Qualität der Beiträge angesprochen, hielt Hubert Winkels ihn gar für den besten gleich nach dem von 2015. Dem Vorwurf, dass die Jury untereinander und zu den Autoren zu sanft gewesen sei, konnte deren Vorsitzender in der Pressekonferenz nach der Preisvergabe nichts abgewinnen. Die Spontankritiken aus den Anfangsjahren des Preises seien zwar "laut, aber, mit Verlaub, grottenschlecht" gewesen, "heftig, aber nicht fundiert. Wenn man keine Schlacht, sondern ein seriöses Interesse an Texten will, kann man das nicht so machen."

Warum heuer nur eine Österreicherin im Rennen war, wusste er nicht zu beantworten. In den vergangenen Jahren hätten überproportional viele Österreicher teilgenommen. Dass die österreichischen Jurymitglieder nicht mehr so zwanghaft automatisch Österreicher nominierten, begrüßt er: "An Nationen festzuhalten finde ich altbacken." (Michael Wurmitzer, 3. 7. 2016)