Nigel Farage ist ein Politiker der Extreme. Die Anhänger seiner nationalpopulistischen Partei Ukip verehren den 52-jährigen Kettenraucher und Dauertrinker beinahe wie einen Heiligen. Im britischen Establishment empfand man stets Abscheu gegen den früheren City-Trader.

Farage versteht es, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Im Europawahlkampf 2014 wie eine Woche vor dem Brexit-Votum kam er mit grellen Plakaten auf den Markt, die sich gegen Einwanderer und Flüchtlinge richteten. In der polemisch zugespitzten Debatte vor der Volksabstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU konnte der Nationalpopulist damit ins Schwarze treffen. Bei der Unterhauswahl 2015 hingegen blieb ihm der Erfolg verwehrt. Ganz knapp verfehlten Farage und seine Gefolgsleute den ersehnten Einzug ins Londoner Parlament, nur der unabhängig agierende Tory-Überläufer Douglas Carswell schaffte die Wiederwahl.

Das Verhältnis des seit 17 Jahren im EU-Parlament agierenden Parteichefs zu seinem einzigen Mandatsträger in London demonstriert eine von Farages entscheidenden Schwächen: Er will immer die Aufmerksamkeit ganz für sich, er duldet neben sich niemand anderen. Deshalb werden erfahrene Beobachter der Londoner Politik auch ein wenig abwarten, bis sie den Rücktritt vom Montag für endgültig halten. Denn Farage schmiss schon 2009 einmal hin, ließ sich ein Jahr später im Triumph zurückholen. Seine Demission im Mai vergangenen Jahres dauerte genau drei Tage. Es mag also auch diesmal zur Auferstehung kommen.

Dagegen spricht nicht nur Farages persönliche und familiäre Situation: Der 52-Jährige leidet seit seinem beinahe tödlichen Flugzeugabsturz am Wahltag 2010 an starken Rückenschmerzen, seine deutsche Frau Kirsten und die beiden halbwüchsigen Töchter (Farage hat aus erster Ehe zwei erwachsene Söhne) haben angeblich schon häufiger auf mehr Familienleben gedrängt.

Vor allem aber hat der fanatische EU-Feind ja erreicht, was der Name seiner Partei United Kingdom Independence Party suggeriert: Unabhängigkeit fürs Vereinigte Königreich. Er sei "ein Truthahn, der für Weihnachten votiert", scherzte Farage einmal – der EU-Parlamentarier plädierte für die eigene Abschaffung.

Immer wieder gerierte sich der Ukip-Chef als Oppositionsführer von Brüssel, beleidigte den früheren Ratspräsidenten Herman Van Rompuy als "charismatischen Waschlappen" und "kleinen Bankangestellten". Solcherlei Peinlichkeiten wurden ihm auf der Insel verziehen, weil er gleichzeitig gegen den absurden Konsens in Europas Zentrum wetterte, wo unterlegene "Spitzenkandidaten" der EU-Wahl nicht Opposition betreiben, sondern in wohldotierten Präsidentenämtern landen.

Kein Zweifel: Farage hat die Politik in Brüssel wie in London verändert, das Brexit-Votum geht nicht zuletzt auf sein Konto, die Konservativen sind unter dem Ukip-Ansturm immer weiter nach rechts gerutscht.

Dass der liberalkonservative Finanzminister George Osborne nun die Unternehmenssteuer erneut senken will, entspricht dem Programm der Nationalpopulisten ebenso wie das Gerede vom "Unabhängigkeitstag", das der konservative Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson übernahm. Großbritannien steht führungslos da, Europa steckt wieder einmal in einer schweren Krise. Grinsend verlässt Nigel Farage die Walstatt. (Sebastian Borger, 4.7.2016)