Neue Perspektiven sucht Rani Nair in ihrer Performance "Future Memory", hier beim Impulstanz-Festival 2015. Die schwedische Künstlerin trat auch bei dem Symposium "Tanz und Migration" in Linz auf.

Foto: Imre Zsibrik

Salzburg/Linz – Längst wird Tanz nicht allein als Unterhaltungsformat und Kunstform, sondern auch als Träger von kulturellem Wissen und Vermittler eigener Bewegungssprachen erforscht. "Tanz reflektiert Themen und schafft Wissen", sagt Claudia Jeschke von der Universität Salzburg, die sich derzeit gemeinsam mit ihrer Kollegin Sandra Chatterjee einem ganz bestimmten Thema widmet: "Tanz und Migration: mehrsprachige Bewegungstexte, hybride Choreographien und transkulturelle Lesbarkeit" heißt das Forschungsprojekt der Tanzwissenschafterinnen, das vom Wissenschaftsfond FWF unterstützt wird.

Untersucht wird, wie tänzerische Praktiken über Nationen und Kontinente hinweg zirkulieren und wie dies an individuelle Künstlerbiografien geknüpft ist. Einer der Höhepunkte des Forschungsprojektes war das zweitägige Performance-Symposium "Tanz und Migration", das vergangene Woche an der Linzer Anton-Bruckner-Privatuniversität abgehalten wurde. Choreografen, Tänzer, Wissenschafter und Kritiker präsentierten und diskutierten tänzerische Praktiken und Projekte zu kultureller und ästhetischer Vielfalt.

Vom Hörsaal ins Tanzstudio

"Bewegung geht über das Wort hinaus und hat insofern ein unglaubliches Potenzial, Dinge anders zu betrachten und sehr enge Diskurse auf eine andere Ebene zu heben", erklärt Chatterjee. Darüber hinaus sei die tanzwissenschaftliche Perspektive auf das Thema Migration besonders dankbar, weil Tanz, anders als andere Kunstformen, nicht an eine Landessprache gebunden ist.

Jedoch will Chatterjee die Annahme, Tanz sei automatisch international und man könne sich durch Bewegung ohne sprachliche Hürden verständigen, relativieren: "Man übersieht dabei leicht, dass auch Tanz extrem codiert und sehr spezifisch ist." Es sei gefährlich, dieses übergreifende Element des Tanzes als selbstverständlich anzunehmen, weil somit viele Ausschlussmechanismen unentdeckt blieben, die es ebenso zu erforschen gilt.

"Tanz und Migration" ist ein einjähriges Wissenschaftskommunikationsprojekt und als solches auf die Vermittlung von Forschungsergebnissen ausgelegt; es findet daher weniger im Hörsaal als im Tanzstudio statt. "Für mich persönlich ist das der ideale Kreislauf", sagt Chatterjee, die selbst Choreografin und Tänzerin ebenso wie Tanzwissenschafterin ist.

Damit reiht sich die Forschung von Jeschke und Chatterjee in den Bereich der künstlerischen Forschung ein. "Wir sind nicht nur Praktikerinnen, sondern auch Wissenschafterinnen und haben nichts gegen das Label 'artistic research', aber es muss ausdifferenziert werden", sagt Jeschke.

Sowohl die künstlerische als auch die wissenschaftliche Komponente der Forschung lasse sich immer erst im Einzelprojekt und unter gewissen Voraussetzungen bestimmen. Von dem Symposium erhoffte sie sich, dass im Zusammenkommen der Beiträge, die aus unterschiedlichen Ecken der Welt und der künstlerischen Praxis stammen, ein gewisses Spektrum entsteht, das weitere Untersuchungen möglich macht. "Wir werden jedoch nicht die eine Methode finden, wie man dieses Themenfeld in einer künstlerischen Herangehensweise untersucht", betont sie.

Forschung als Chance

"Es ist keine Methode und kann auch niemals eine werden", sagt auch Rose Breuss, Leiterin des Institute for Dance Arts (IDA) der Anton-Bruckner-Privatuniversität, bezüglich künstlerischer Forschung. Das IDA hat ein Bachelor- und ein Masterprogramm in zeitgenössischem Tanz und will bald auch ein Doktoratsstudium anbieten. Seit die Kunsthochschulen Forschungsgelder bekämen, sei dieser wissenschaftliche Zugang möglich. "Das ist spannend, aber birgt auch Probleme, weil die Forschung hier unter ganz anderen Bedingungen stattfindet", sagt Breuss. Sie sieht in dieser Verschmelzung von Praxis und Theorie eine große Chance für die Kunst, die somit ihre Praktiken hinterfragen müsse.

Durch die Zusammenarbeit mit Studierenden am IDA weiß Breuss, dass es dabei zentral ist, sich definieren zu müssen. "Das ist eine Forderung, die sonst immer nur migrantische Personen trifft", sagt Breuss im Hinblick auf das Symposium "Tanz und Migration", das ihr Institut ausgetragen hat. Hier werde diese Forderung einmal umgekehrt; nicht nur etwa die Menschen aus Indien oder Südamerika, sondern die künstlerisch Forschenden allgemein werden nach ihren Identitäten und ihrem Selbstverständnis befragt. (Julia Grillmayr, 10.7.2016)