Das ungleiche Duo hinter der Atombombe: links der Physiker Robert Oppenheimer, rechts General Leslie Groves. Sie waren ein gegensätzliches Paar, das gerne gemeinsam auftrat – hier am Trinity-Testgelände 1945.

Foto: army corps of engineers

Zuerst hatte er in der Schule einige Klassen übersprungen, dann in Harvard, und so landete Roy Glauber 1943 als 18-Jähriger beim Manhattan-Projekt in Los Alamos. Heute wäre er froh über eine Welt ohne Atomwaffen.

Lindau – Unter größter Geheimhaltung arbeiteten US-Physiker ab 1942 in der Wüste von New Mexico an der Entwicklung der ersten Atombombe. Mehr als 150.000 Menschen waren direkt oder indirekt am Manhattan-Projekt beteiligt. Zum ersten – und einzigen – militärischen Einsatz von Atombomben kam es im August 1945 in den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki – beide Bomben waren in Los Alamos entwickelt worden. Vergangene Woche sprach der Physiknobelpreisträger Roy Glauber bei der Lindauer Nobelpreisträgertagung über seine Erfahrungen als Mitarbeiter im US-Atombombenprojekt.

STANDARD: Gibt es einen Grund, warum Sie bei der diesjährigen Nobelpreisträgertagung über das Manhattan-Projekt gesprochen haben?

Glauber: Es gibt viele, die das besser gekonnt hätten. Der einzige Grund, der mir einfällt, ist, dass ich einer der letzten Zeitzeugen des Manhattan-Projekts bin.

STANDARD: Sie sind schon mit 18 Jahren zum Manhattan-Projekt gekommen – wie kam es dazu?

Glauber: Das war im Jahr 1943, zu dieser Zeit war es nicht unüblich, Klassen zu überspringen. In der Schule und auch am College konnte ich Klassen und Kurse überspringen. Da wir uns damals im Krieg befanden, kündigten die Professoren an, dass sie ihre Fortgeschrittenenkurse zum letzten Mal anboten – also besuchte ich alle, die ich konnte. Als ich 18 war, sollte ich einen Fragebogen ausfüllen. Die jungen Männer wurden damals in die Armee eingezogen, und die ausgebildeten sollten adäquate Stellen bekommen.

Ich füllte aus, welche Kurse ich besucht hatte, und das waren beinahe all die Kurse, die man als Doktorand absolviert. Als das Semester in Harvard zu Ende war, gaben sie mir daher ein Zugticket nach Chicago. Dort bekam ich ein weiteres Ticket, nach Lamy, New Mexico – ein Ort, von dem ich noch nie gehört hatte. Dort wurde ich von einem gewissen Mr. Newman, der sich später als der bedeutende Mathematiker John von Neumann herausstellte, abgeholt und nach Los Alamos gebracht.

STANDARD: Wie fanden Sie heraus, woran dort gearbeitet wurde?

Glauber: Am ersten Tag, als ich dort war, bekam ich eine Liste mit Namen von Personen, die ich treffen sollte. Darunter Robert F. Bacher, der Leiter der Physikabteilung. Er sagte zu mir: "Ich wette, Sie sind interessiert, woran wir hier arbeiten." Dann forderte er mich auf zu raten. Meine Vermutung war, dass dort an der Kettenreaktion durch Kernspaltung gearbeitet wurde, weil man davon einmal in den Zeitungen gelesen hatte. Er sagte: "Das haben wir bereits vor eineinhalb Jahren erreicht – in Chicago. Wir arbeiten aber auch hier an einer Kettenreaktion, allerdings an einer schnellen, nicht an einer langsamen." Dann führte er weiter aus, dass es sich um eine Bombe handelte.

STANDARD: Wie haben Sie darauf reagiert?

Glauber: Das machte mich sehr traurig, denn das war wirklich kein Geschenk für die Menschheit. Ich brauchte einige Wochen und Monate, um dieses Gefühl zu überwinden und zu entdecken, dass dabei interessante mathematische Probleme mit im Spiel sind, die uns für die nächsten zwei Jahre beschäftigen sollten.

STANDARD: Wie war die Stimmung in Los Alamos?

Glauber: Es gab bemerkenswerte Momente. Am beeindruckendsten war für mich die Geografie, ich hatte nie etwas gesehen, was so ähnlich aussah. Es gab Plateaus, die von Canyons durchzogen waren. So war Los Alamos in einer beinahe unerreichbaren Umgebung. Zu der Zeit, als ich kam, war Los Alamos schon ein ziemlich betriebsamer Ort mit Infrastruktur und mehreren Hundert Personen. Es gab Schlafsäle und große Wohngebäude. Es gab dort einige Familien, und viele Kinder wurden dort während dieser Zeit geboren. Denn da waren sehr viele junge Leute. Die Alten wollten entweder nicht an diesen gottverlassenen Ort gehen oder hatten schon anderswo verantwortungsvolle Positionen.

STANDARD: Der bekannteste Protagonist des Manhattan-Projekts war Robert Oppenheimer – wie haben Sie ihn erlebt?

Glauber: Er war außergewöhnlich und hatte tiefe Einsichten. Interessant ist, wie wenig er selbst zustande brachte. Es gibt fast nichts, das man nur mit seinem Namen assoziieren würde. Aber er verstand alles, beschrieb es sehr gut und machte Eindruck. Er war ein ultraintellektueller Amerikaner. Er liebte es, sich selbst in poetischen Bildern und Phrasen zu charakterisieren. Als er studierte – ich glaube, er schloss sein Studium an der Harvard-Universität in drei Jahren ab -, entwickelte er die Gewohnheit, Sanskrit zu lesen. Er interessierte sich leidenschaftlich für indische Poesie. Niemand in Los Alamos hatte eine Ahnung davon. Er verwendete diese Phrasen häufig, vor allem, um die weltfremden Dinge zu beschreiben, die man bei einer nuklearen Explosion sehen konnte.

STANDARD: Den Abwurf der ersten Bombe kommentierte er mit einer Phrase aus der Bhagavad Gita: "Ich bin der Tod geworden, der Zerstörer der Welten."

Glauber: Ja, genau. Er hat ganz und gar nicht wie ein typischer amerikanischer Führer geklungen. Wir alle haben das respektiert oder ihn dafür sogar verehrt. Oppenheimer war zudem vollkommen gegensätzlich zu General Leslie Groves, dem militärischen und eigentlichen Leiter des Manhattan-Projekts. Oppenheimer war ja nur der zivile Direktor. Die beiden waren wie zwei gegensätzliche Pole, aber sie traten oft gemeinsam auf. Das hatte etwas sehr Symbolisches – das sieht man auch vielen Fotos von den beiden an.

STANDARD: Wenn die USA die Atombombe früher gehabt hätten, wäre sie dann Ihrer Meinung nach gegen Deutschland eingesetzt worden?

Glauber: Das ist eine interessante Frage und eine, die nie mit Gewissheit beantwortet werden kann. Ich denke, dass das zumindest in Betracht gezogen worden wäre. Es gab immer enorme Verspätungen bei der Entwicklung, die Lieferungen des spaltbaren Materials dauerten immer länger als geplant. Das hatte Folgen. Wenn alles schneller gegangen wäre, hätte das den Kriegsverlauf ändern können.

STANDARD: Haben Sie je bereut, am Manhattan-Projekt beteiligt gewesen zu sein?

Glauber: Mein Bedauern war höchstens, dass wir die Bombe nicht früher gehabt haben, damit sie einen Effekt in Europa hätte haben können. Ich kann Ihnen aber nicht genau sagen, was das für ein Effekt hätte sein können.

STANDARD: 1989 gab es 62.000 Atombomben weltweit. Heute sind es 10.000 ...

Glauber: ... was immer noch eine absurd hohe Anzahl ist.

STANDARD: Was halten Sie von den Bemühungen für eine atomwaffenfreie Welt?

Glauber: Ich halte es für unmöglich, dass alle Atommächte ihre Waffen aufgeben. Es wird sich immer die Frage stellen, wer zuerst und wer zuletzt abrüstet. Falls es aber eine Möglichkeit gibt, dieses Dilemma zu lösen, wäre ich dafür. (Tanja Traxler, 7.7.2016)