Es ist also geschehen. Nein, das Ergebnis der Volksabstimmung über den Brexit ist kein Beispiel für jenen tiefschwarzen britischen Humor, den ich so sehr schätze, sondern härteste politische Realität nd eine ziemliche Katastrophe.

Die Mehrheit in Großbritannien hat sich für den Austritt aus der EU entschieden, und angesichts der ökonomischen, politischen und militärischen Größe des Landes wird dies eine große Lücke in die Union schlagen und diese schrumpfen lassen. Aber die demokratische Mehrheit hat in einem Referendum entschieden, und so ist es nun.

Europa wird daran nicht zugrunde gehen, und was aus Großbritannien werden wird, weiß zur Stunde wohl kaum jemand. Bleibt das Land zusammen, oder werden die Schotten gehen? Hat der 23. Juni den selbstverschuldeten Niedergang einer der dynamischsten Volkswirtschaften der EU eingeleitet? War es das mit der Weltfinanzmetropole London?

Der Austritt Großbritanniens ist ein bis dato einmaliger Vorgang und wird deshalb für beide Seiten mannigfache und gewiss auch jede Menge böse Überraschungen bergen. Ohne jeden Zweifel wird die EU ohne Großbritannien schwächer werden. Folgte man ausschließlich rationaler Vernunft, so läge es deshalb, entsprechend den Interessen der verbliebenen 27 Mitgliedstaaten, auf der Hand, ein Zeichen der Stärkung der Union zu setzen, etwa durch einen weiteren Schritt der Stabilisierung und verstärkten Integration der Eurozone, aber da scheint es wenig Hoffnung zu geben.

Der Mut fehlt

Denn zu tief sind die strategischen Unterschiede und Denkschulen zwischen den wichtigsten Mitgliedern dieses Währungsblocks, vor allem zwischen Deutschland und Frankreich, und zwischen Nord und Süd. Dabei wissen alle, worum es geht: um einen neuen Kompromiss innerhalb der Währungsunion zwischen Nord und Süd, zwischen der deutschen Spar- und Austeritätssturheit und der mediterranen Schulden- und Ausgabenlaxheit zugunsten von mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Allein, dazu scheint den Verantwortlichen der Mut zu fehlen!

Es ist deshalb von der EU der 27 Mitgliedstaaten kein Signal der Stärkung und eines erneuten Aufbruchs zu erwarten. Vieles spricht dafür, dass, nach dem anfänglichen Schock über den Brexit und entgegen allen gegenwärtigen lauten Versicherungen, dasss es auf keinen Fall so weitergehen dürfe wie bisher, genau dies aber der Fall sein wird.

Die eigentlichen Ursachen für die Ablehnung Europas reichen wesentlich tiefer als die tagesaktuellen Konflikte: die Wiederkehr des Nationalismus und der Mythen einer goldenen vergangenen Zeit der Nationalstaaten, ethnisch und politisch homogen und ganz ohne die Zwänge der Kompromissmaschine namens EU und Brüssel und ohne die Folgen der Globalisierung, von der zwar die Mehrheit der Europäer in ihren Sozialstaaten sehr gut lebt, sie gleichwohl aber grässlich findet.

Heutzutage verspürt der Nationalismus in nahezu allen europäischen Staaten wieder Rückenwind, gerichtet an erster Stelle gegen Fremde, gegen Brüssel, die EU. Auch die Brexit-Kampagne bediente sich dieser beiden negativen Mythen. Die Brexit-Befürworter argumentierten nahezu ausschließlich mit Mythen, die "Remainer" allzu oft wie Buchhalter – Emotion gegen Rationalität, und die Emotion hat gewonnen! Noch ist es Zeit zur Umkehr, noch. Oder müssen erst Donald Trump und Marine Le Pen gewählt werden, um nach dem Brexit den Dreiklang eines Albtraums zu vollenden? (Joschka Fischer, © Project Syndicate, 6.7.2016)