Ai Weiweis Engagement gilt Menschenrechten, Demokratie und – in der Flüchtlingskrise – besonders der Würde des Menschen: Für eine Symbolik der feinen Klinge ist der chinesische Künstler aber weniger berühmt. Das 21er-Haus widmet ihm eine Ausstellung
Wien – Es war ein riesiges Friedenszeichen aus rund 3000 Rettungswesten, mit dem Anfang Jänner auf der Insel Lesbos an das Schicksal Hunderttausender erinnert wurde, die hier die Überfahrt über die Ägäis gewagt hatten. Die spontane Geste anwesender Hilfsorganisationen könnte man heute mit einer Kunstaktion Ai Weiweis verwechseln. Tatsächlich hatte der chinesische Künstler wenige Tage zuvor angekündigt, hier ein Mahnmal errichten zu wollen. Viele Menschen hätten ihr Leben in den Wellen verloren, "wir brauchen ein Denkmal", sagte er.
Ein Mahnmal gibt es auf Lesbos noch nicht. Dafür erinnert Ai Weiwei anderswo mit abertausenden an den Stränden der griechischen Insel zurückgelassenen Schwimmwesten an das Flüchtlingsdrama. Großes, nicht nur wohlwollendes Medienecho erntete etwa eine Aktion in Berlin. Dort wurden die Säulen des Konzerthauses mit hunderten Schwimmwesten verkleidet. Und verkleiden konnten sich auch die Promis bei der Benefizgala "Cinema for Peace": Ai hatte ihnen goldene Rettungsfolien unterm Sessel versteckt und animierte mit dieser Surprise wirklich einige Geschmacksresistente zum Flüchtlingsselfie. Geschmacklos und zynisch, so lauteten auch die Vorwürfe, als India Today Ai Weiwei als den ertrunkenen Buben Aylan Kurdi reinszenierte und das Foto auf einer Kunstmesse als "ikonisches Bild" präsentierte. Und als Ai auch noch im Flüchtlingslager Idomeni auftauchte, kippte die Stimmung in den sozialen Medienkanälen Richtung Spott und Hohn.
Nun sind Ai Weiwei und sein irrsinnig aufgeladenes Material also in Wien angekommen, wo ihm das Belvedere im 21er-Haus eine große Soloschau widmet: Arrangiert zu 201 Lotusblüten, einem Symbol für Reinheit und Vollkommenheit, schwimmen die bunten Rettungswesten im Wasserbassin vor dem Oberen Belvedere. Tragische Blüten, die den Buchstaben F formen: "F" für Fake, wie das Unternehmen des sich in seinem Werk stark mit Kopie und Wiederholung beschäftigenden Künstlers heißt. Man könne, so Ai Weiwei in Wien, es aber auch als "Freiheit" lesen oder als "Finanzen".
Pose statt Position
Die Touristen vor dem barocken Schloss verführt das dekorative Ensemble allerdings weniger zum Nachdenken als dazu, noch mehr Fotos zu machen: Und Pose statt Position gilt auch für die Andenken, die von den hier vor Postkartenkulisse postierten Bronzeköpfen von Schwein, Hund, Drache sowie neun weiteren, herzigen Tierchen aus dem chinesischen Horoskop geschossen werden. Trotz aufgespießter Schädel (in Prag hatte Ai Weiwei ihnen Wärmedecken umgelegt) ist die Stimmung heiter. Die historischen Originale dieser Kopien standen einst in Peking vor dem Sommerpalast; nach dem Zweiten Opiumkrieg blieben viele verschollen.
Ist es womöglich subversiv, wenn sich die Tragödie so in die Urlaubsfotos von Ahnungslosen schleicht? Nein, denn dann würde sich Ai Weiwei ja selbst auf den Leim gehen: Am Dienstag posierten vor der Installation mit Mahnmalcharakter auch die derzeit wegen Compliance-Vorwürfen stark unter Druck stehende Belvedere-Direktorin Agnes Husslein und ihr weltberühmter Künstler. Einzig der für den Fototermin angekündigte Kulturminister fehlte zum Glück.
Kann man einen Künstler, der Plädoyers für Demokratie, Menschenrechte, Meinungsfreiheit und die Würde des Menschen hält, kritisieren? Einen Dissidenten, der lange mit Ausreiseverbot belegt war? Jemanden, der sich solidarisiert und sagt, als Sohn eines regimekritischen Dichters sei er als Flüchtling geboren? Wohl keinesfalls für sein politisches Engagement und Bewusstsein, aber ganz sicher dafür, dass jede seiner Handlungen an die Öffentlichkeit drängt.
Vielleicht auch dafür, dass seiner Symbolik Subtilität fehlt. Dass er Bilder wachzurufen sucht, die ohnehin allgegenwärtig sind, ist auch nicht ganz frei von Populismus. Anders verhielt es sich bei den 9000 Rucksäcken, die er 2009 an der Fassade des Münchner Hauses der Kunst anbrachte. Da drohte das Schicksal jener Schulkinder aus Sichuan, die bei einem Erdbeben in einem desaströs gebauten Schulhaus umgekommen waren, in der Tat von den Behörden unter den Teppich gekehrt zu werden.
Bombastisch wie oft bei Ai ist auch die Symbolik der 400 Jahre alten chinesischen Ahnenhalle, die er passend zum mit Flucht und Migration spielenden Ausstellungstitel translocation – transformation in die moderne Architektur des 21er-Haus verpflanzte. Da wurde der Tempel zum Flüchtling gemacht: Dessen Schiffsreise nach Wien, die man sogar per GPS-Sender mitverfolgen konnte, war jedoch sicher. In Wien ist er nun gemeinsam mit zwei kleinen Teehäusern Botschafter für die kulturelle Vermischung. (Anne Katrin Feßler, 13.7.2016)
Bis 20. November
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