Viel musste der Jugendstilkünstler Franz Matsch nicht hinzufügen ...

Foto: Matsch/Belvedere

... bei seinem "Porträt vom Sohn des Künstlers als 'Prinz Ludwig von Ungarn'" (1907).

Foto: Matsch/Belvedere

Wien – Der Ringstraßen-Malerfürst Hans Makart hat's getan, der Landschaftsmaler Franz Alt ebenso. Selbst Klimt: schuldig. "Schmerzlich enttäuschend" fand es Heinrich Schwarz, Belvedere-Kurator in der Zwischenkriegszeit, dass sich noch die Größten unter jenen Malern befanden, die für ihr Handwerk "Unterstützung bei der Fotografie gesucht" hätten.

Sie hatten, salopp gesagt, die anspruchsvolle Dame Malerei mit der jungen, billigen Mätresse Fotografie hintergangen. Der Historienmaler Adolf Hirémy-Hirschl etwa, der die Figuren seiner dramatischen Gemälde nicht – wie Schwarz es wohl lieber gesehen hätte – aus dem Gedächtnis oder nach Skizzen, sondern auf Basis von Fotografien gemalt hatte.

"Spielerei, von keinem Einfluss auf die Kunst"

Nun steht der desillusionierte Schwarz für eine Anschauung, die sich erst im 20. Jahrhundert entwickelte – nachdem nämlich die Fotografie als vollwertige Kunstgattung anerkannt war. Solange man sie als "Spielerei, von keinem Einfluss auf die Kunst" auffasste – so das Urteil von Wiens erstem Ordinarius für Kunstgeschichte, Rudolf Eitelberger -, war der Umgang mit ihr keineswegs skandalisiert, sondern sogar äußerst verbreitet.

Dies zeigt nun die Ausstellung Inspiration Fotografie im Belvedere, die sich bewusst ist, an ein bis heute nachwirkendes "Tabu" zu rühren, wie Kuratorin Monika Faber sagt. Ja, in der Tat: Wer nicht glauben mag, dass fast alle Maler des späten 19. Jahrhunderts da und dort auf die Fotografie zurückgriffen, muss in der Orangerie ganz, ganz stark sein.

Was in der Übersetzung verloren ging

Thematisiert wird etwa Leopold Carl Müllers Monumentalgemälde Markt in Kairo (1875-1879). Die detailreiche Szene beruht weniger auf Zeichnungen, die anzufertigen ob Hitze und Staubs sehr mühsam gewesen sei, wie der Künstler in einem Brief bekannte. Vielmehr lichtete Müller Architektur, Menschen und ein Dromedar gesondert ab, um sie dann malerisch zusammenzustöpseln.

In der Orangerie vergleicht man nun fotografische Vorlagen direkt mit dem fertigen Gemälde. Selbigem meint man das Gestückelte denn auch anzusehen, etwa angesichts gewisser lichtsetzerischer Ungereimtheiten. Man vollzieht aber auch den verklärenden Orientalismus der Zeit nach: Müller überhöhte mitunter seine Gegenstände, ließ etwa Bauten ein wenig glanzvoller erscheinen, als sie sich ihm darboten.

Das Monumentalgemälde "Markt in Kairo" (1875-79, oben) stöpselte Leopold Carl Müller aus fotografischen Vorlagen zusammen.
Foto: Photoinstitut Bonartes (unten), Belvedere Wien (oben); Montage: Gerold

In die Tasche gesteckt

Die Fotografie steht nicht zuletzt als Antagonistin der Malkunst in den Geschichtsbüchern. Denn akkurate Porträts oder Landschaftsbilder konnte das von Louis Daguerre 1839 erfundene und rasch immer weiterentwickelte optisch-chemische Verfahren besser und schneller. So war es letztlich ein wichtiger Faktor dafür, dass sich die Malerei neu definieren musste, gen abstrakte Moderne aufbrechen konnte.

Inspiration Fotografie führt nun in jene spannende Phase, in der die Maler ihre spätere Unterlegenheit allenfalls befürchteten. In Wien war man selbstbewusst – die Diskussion über das Kunstpotenzial der Fotografie sollte hier später einsetzen als in England oder Frankreich. Einstweilen steckten die meisten die Kamera als Mittel zum malerischen Zweck in die Tasche. Sie sei ein "vortreffliches Hilfsmittel", könne aber "die Hand des Menschen nie entbehrlich machen", versicherte die Grätzer Zeitung 1842.

Malerei als Maß der Dinge

Und so waren Fotos nicht nur Gedächtnisstütze, Sammelwerkzeug, Vorlagenspender. Maler nutzten sie ebenso für Reproduktion und Vertrieb ihrer Gemälde oder für die Inszenierung ihrer Person. Auch dem später aus England importierten Piktorialismus galt die Malerei noch als Maß der Dinge: Fotografen wie Heinrich Kühn strebten danach, ihre Fotos wie Gemälde aussehen zu lassen – etwa durch komplexe Drucktechniken oder bewusst eingeführte Unschärfen.

Wie weit man den Einfluss der neuen Technologie auf die Malerei fassen kann, zeigt das Beispiel Klimts: Die Verwendung eines Teleguckers, der dem Anvisierten jede räumliche Tiefe nimmt, prägte die flächige Ästhetik von dessen Landschaftsbildern mit.

Inspiration Fotografie (sowie der dazugehörige, empfehlenswerte Katalog) steckt voller Anekdoten, die vergnüglich zu entdecken sind – und die man sich auch zweimal durch den Kopf gehen lassen kann: Die Geschichte vom Umgang mit revolutionären Technologien könnte für uns Heutige – trotz veränderter Vorzeichen – durchaus allgemein Relevantes enthalten. (Roman Gerold, 20.7.2016)