Auch der Bahnhof in München wurde am Freitagabend gesperrt.

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Zuerst war das Chaos, dann die üblichen Reaktionen: Verschärfung des Waffenrechts, mehr Mittel für die Polizei, Einsatz von Soldaten. Erstaunlicherweise wurde nicht der Ruf nach mehr Psychologen laut. Nach den Ereignissen von München an diesem Wochenende begann gleich mit Verve die Debatte über Fehler der Polizei: Wurde nicht überreagiert, als man den ganzen öffentlichen Nahverkehr und Autobahnen gesperrt hat? Wurde nicht dadurch erst recht Panik ausgelöst? Wer kommt für den Schaden auf, der entstanden ist, weil eine Metropole stundenlang lahmgelegt wurde? Hätte es ohne Facebook und Twitter diese Aufregung überhaupt gegeben? Warum transportieren Medien diese Meldungen weiter?

Diese Fragen und Debatten sind berechtigt, es geht um das Verhalten in Extremsituationen, die plötzlich alltäglich geworden sind, wie die vergangenen zehn Tage zeigen: Nizza, Türkei, Baton Rouge, Würzburg, München, Reutlingen, Ansbach – ein Putsch in der Türkei, ansonsten Anschläge, Attentate, Amokläufe. Es verschwimmen auch die Begrifflichkeiten: Wie nennt man das, wenn ein offenbar psychisch kranker Mensch junge Menschen in ein Lokal bestellt und dann erschießt? Ist das dann doch ein Anschlag, weil es keine spontane, sondern eine geplante Tat war? Diese Diskussion gab es schon im Vorjahr, als ein Pilot ein vollbesetztes Flugzeug zum Absturz brachte.

Erste Reaktionen

Die ersten Reaktionen nach Bekanntwerden der Schüsse in München von Polizei, Medien und eigentlich jedem, der das Weltgeschehen in den vergangenen Jahren verfolgt hat, sind verständlich: Weil nach den Attentaten von 9/11, Oslo, Paris, Nizza – um nur einige zu nennen – jede Wahnsinnstat möglich scheint: Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass Flugzeuge oder ein Lkw als Mittel zum Massenmord eingesetzt werden oder sich Männer mit Sprengstoffgürteln gleichzeitig in europäischen Städten in die Luft sprengen?

Wir alle sind infiziert von dieser Angst, die durch Selbstmordattentäter, die "berühmt" werden wollen, genauso geschürt wird wie von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Ein Bekenntnis des IS war am Freitagabend schon sehr früh da. Es kursierten im Netz zu dem Zeitpunkt Fotos des angeblichen Täters, der als Neonazi beschrieben wurde. Dabei war es das Bild eines US-Komikers, das sich rasend schnell über das Internet verbreitet hatte. Selbst Berichte von Augenzeugen, die "Allahu akbar"-Rufe gehört und mehrere Täter mit Langwaffen gesehen haben wollten, stellten sich hinterher als falsch heraus.

Schwierige Entscheidungen

Die Polizei musste diese Hinweise ernst nehmen, ihnen nachgehen und sich für die schlimmstmöglichen Situationen vorbereiten. Medien müssen aber nicht alles aufgreifen, was im Netz kursiert. Aber es ist in solchen Situationen nicht einfach, Entscheidungen zu treffen und zu eruieren, was nun gesichert ist: Wenn selbst die Polizei von "akuter Terrorlage" spricht, dann wird es wohl ein Anschlag sein. Deshalb ist die Quellenangabe bei solchen Meldungen besonders wichtig zur Einordnung. Es gibt auch immer wieder die Forderung, nicht zu berichten: einfach, um keine Nachahmerreaktionen zu provozieren. Das ist in solchen Situationen keine Option.

Aber hinterher ist man klüger. Das gilt für Polizei und für Medien, die sowieso ohnehin immer alles besser wissen. Wir alle müssen wohl lernen, mit dieser Angst und diesem Wahnsinn umzugehen und zumindest nicht auch noch Panik zu verbreiten. (Alexandra Föderl-Schmid, 24.7.2016)