Statt politisch brisanter Informationen zu Erdoğan veröffentlichte Wikileaks private Daten von Millionen Türken.

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Die Aufregung war groß, als Wikileaks kurz nach dem Putschversuch in der Türkei die Veröffentlichung zahlreicher interner E-Mails von Servern der Regierungspartei AKP ankündigte. Vor rund einer Woche war es dann so weit: 300.000 E-Mails und 50.000 Dokumente gelangten ins Netz. Die türkische Regierung reagierte mit Netzsperren, zuvor waren Wikileaks-Server attackiert worden. Doch seither ist es still um die ins Netz gestellten Dokumente geworden.

Der Grund dafür: Die meisten dieser E-Mails sind offensichtlich banal und haben unter journalistischen Gesichtspunkten keine Relevanz. Nachrichten von hochrangigen AKP-Mitgliedern oder gar Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan selbst sind nicht zu finden. Dafür wurden laut Zeynep Tufekci, "New York Times"-Kolumnistin und Forscherin in Harvard, private Informationen zu zahlreichen türkischen Staatsbürgern publiziert.

Wählerregister

Offenbar befinden sich unter den von Wikileaks bereitgestellten Dokumenten Daten zu fast allen türkischen Wählerinnen. Es dürfte sich um verlinkte Wählerregister von 79 der 81 türkischen Provinzen handeln. Angehängt sind Wohnadressen und Telefonnummern. Bei Personen, die sich in der AKP engagieren, ist sogar die Ausweisnummer enthalten. Allein das Dokument zu Istanbul enthalte Informationen zu über einer Million Türkinnen. Andere Datensätze enthalten heikle Informationen zu AKP-Mitgliedern beider Geschlechter. Die Datenbank für Frauen dürfte wohl für Wahlkampfzwecke zusammengetragen worden sein, vermutet Tufekci gegenüber Heise.

Massive Datenschutzverletzung

"Zusammenfassend: In der Türkei gibt es einen blutigen Putsch, bei dem Bürger (auch Frauen) sterben. Währenddessen stellt eine Gruppe Links zu Daten über Millionen Frauen und Mitglieder jener Partei online, gegen die der Coup gerichtet war", schreibt Tufekci. Sie fürchtet, dass diese Daten etwa für Racheaktionen von politischen Gegnern oder für Identitätsdiebstahl verwendet werden können. Tufekci kritisiert, dass zahlreiche westliche Medien nicht über diese Datenschutzverletzungen berichtet hatten, sondern sich auf die Zensur der AKP konzentriert hatten. Wired entfernte nach Tufekcis Artikel etwa die Links auf Wikileaks.

Wikileaks selbst hat Tufekci heftig kritisiert und klargestellt, die Daten selbst nicht veröffentlicht zu haben – sondern nur E-Mails, in denen darauf verlinkt wird. Allerdings wurden die Register in der Mehrzahl erst durch Wikileaks offengelegt. Mittlerweile sind die Datensätze nicht mehr erreichbar.

Wiederholt Kritik

Die Whistleblower-Plattform war wiederholt für ihren laschen Umgang mit dem Datenschutz in die Kritik geraten. Die 2010 veröffentlichten Dokumente über die Kriegshandlungen der USA im Irak und in Afghanistan brachten etwa zahllose Menschenrechtsverletzungen ans Licht. Gleichzeitig hieß es schon damals, dass Wikileaks unverantwortlich handle, weil Namen von Übersetzern und lokalen Informanten des US-Militärs nicht geschwärzt wurden.

NSA-Whistleblower Edward Snowden schickte seine Datensätze dann auch nicht an Wikileaks, sondern reichte sie an Journalisten weiter, damit diese die Informationen aufbereiten und selektieren. Auch bei den Panama-Papers, die Offshore-Konten offenlegten, wandte sich der Whistleblower an Journalisten statt an Wikileaks. (fsc, 26.7.2016)