US-Autor Donald Ray Pollock (61), unser Mann im Hinterwald.

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Drei Brüder, ein Ford Model T und jede Menge Gewaltbereitschaft spielen auch bei Donald Ray Pollock im Roman "Die himmlische Tafel" eine Rolle. Hier eine Szene aus "Lawless" von John Hillcoat, 2012.

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Wien – Der Ort, in dem Donald Ray Pollock die meiste Zeit seines Lebens verbrachte, heißt tatsächlich Knockemstiff, also Schlag-sie-tot. Und dieses grimmige Kaff im ländlichen Ohio steht auch im Zentrum der Bücher des 61-Jährigen, der erst vor zehn Jahren beschloss, in der dortigen Papiermühle zu kündigen und Schriftsteller zu werden, um nicht in seiner Rente so wie sein Vater saufend vor dem Fernseher zu verenden und nebenher noch seine Familie zu terrorisieren.

Ganz so schlimm wie in Pollocks bisher erschienenen Büchern, der als Ortschronik aus der Hölle daherkommenden Kurzgeschichtensammlung Knockemstiff sowie dem ebenfalls dort spielenden Roman Das Handwerk des Teufels, kann das Leben dann doch nicht sein. Immerhin lebt Pollock immer noch in der Gegend. Und laut eigener Aussage ist der Mann auch regelmäßig in der Kirche zu finden. Beim Begriff gottesfürchtig gilt es, besonders den zweiten Teil des Wortes zu beachten. Der große, irre, grausame, strafende und einzig das Martyrium als wahres Gebet zulassende Gott spielt gewöhnlich eine wichtige Rolle in der Welt Pollocks.

Schlechte Chancen für gute Einflüsse

Der Autor muss Knockemstiff nicht neu erfinden. Es liegt auf der Landkarte ungefähr dort, wo – umgelegt auf den menschlichen Körper – die Sonne nie hinscheint. So ein Kaff kennt jeder, wenn auch nur vom Hören (Nick Cave), Sehen (Two Thousand Maniacs! von Herschell Gordon Lewis) oder Lesen (Cormac McCarthy, Flannery O'Connor, Daniel Woodrell, William Faulkner, Harry Crews, Joe R. Lansdale ...).

Nach Knockemstiff werden sich nur selten Fremde verirren. Und wenn, dann keine Gnade vom Fürchtegott. Fremdeinflüsse wie etwa die zivilisatorische Errungenschaft des gewaltfreien Umgangs miteinander, die Achtung vor Recht und Gesetz sowie ein vernünftiger Umgang mit Drogen, Familienmitgliedern und fremdem Eigentum haben hier vom Start weg schlechte Chancen.

Im Gegensatz zum bisher in seine Büchern auftauchenden Personal, das aus religiös Irren, pharmazeutisch Wahnsinnigen, sexuell Perversen und geisteskranken Kriminellen sowie diversen Leuten besteht, die deswegen körperlichen und geistigen Schaden nehmen müssen, legt es Donald Ray Pollock in seinem neuen, zeitgleich auf Deutsch und in den USA erscheinenden Roman Die himmlische Tafel in seinem White-Trash-Idyll das erste Mal nicht nur als Höllenfahrt an. Der historische Roman spielt 1917 unter anderem in Ohio in einer Kleinstadt namens Knockemstiff. In der steht eine Papiermühle.

Eulenspiegelei mit Galgen

Es geht in Die himmlische Tafel, einem Buch, das man auch als Entwicklungsroman lesen kann, wenn man davon ausgeht, dass sich oft etwas nicht so entwickelt, wie man will, natürlich um Gott als schlechten Gastgeber. Der zehrt seine Gäste aus, demütigt sie und lässt sie verzweifelt sterben, bevor er sie an seinen Tisch bittet. Es geht weiters um die drei zart unterbelichteten Gebrüder Cane, Cob und Chimney Jewett. Nach dem Tod des grausamen Vaters werden sie zu Verbrechern. Sie glauben, dass die Freiheit jene Abenteuer bringt, die sie aus dem Western-Groschenroman Das Leben von Bloody Bill Bucket kennen. Das ist jenes Buch, aus dem sie neben der Bibel all ihr Wissen über die Welt beziehen.

Das ist erstmals bei Donald Ray Pollock nicht von jenem Galgenhumor geprägt, den die Schilderung des Grauens mitunter auch mit sich bringt – wobei am Ende die Schlinge natürlich trotzdem zugezogen wird und dem Leser der Atem stockt. Die himmlische Tafel ist durchaus auch als bisweilen brüllend komischer, sprachlich und inhaltlich derber, dialoglastiger und detailreicher Abenteuerroman sowie als amerikanische Chronik der irrsten Tollheiten zu lesen, die das frühe 20. Jahrhundert neben dem Ford Model T, der Wassertoilette oder der Klatschpresse zu bieten hat.

Die Frage ist also nicht, wann Quentin Tarantino die Filmrechte erwerben, sondern warum er den Stoff schließlich nicht verfilmen wird. Obwohl hier Serienmörder, psychotische Bullen, Riesenpenisse, Huren, Freaks und Tschinn und Bumm vorkommen, ist diese Eulenspiegelei mit sämtlichen Körpersäften nie zynisch. Dafür fürchtet Donald Ray Pollock den Gott viel zu sehr. (Christian Schachinger, 27.7.2016)