Verloren und gefunden im Cyberspace sind die Menschen in der Kunst von Zelko Wiener: "Phantasma TITANinnEN" (2006).

Foto: Musa

Einen gar merkwürdigen Zaubertrick beherrscht Wieners "Bodybuilder" (1992).

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Wien – In den Technologien des Internetzeitalters ist beides angelegt: totale Überwachung und Unterdrückung, aber auch Demokratisierung, Teilhabe. Manchmal lässt sich das eine vom anderen schwer unterscheiden – siehe Facebook. Weil Otto Normalverbraucher allerdings ein bisschen zur Kurzsichtigkeit neigt, ist es umso wichtiger, dass auch jemand an die guten Kräfte von Computer, Internet, Fernsehen etc. glaubt. Einer, der das schon lange, lange vor Social Media und Pokémon Go versucht hat, ist der österreichische Medienkünstler Zelko Wiener (1953-2006), dem aktuell das Wiener Musa (Museum Startgalerie Artothek) eine Retrospektive widmet.

"Das Paradies ist noch nicht verloren", verkündete anno 1983 die Künstlergruppe Blix, die Wiener mit Robert Adrian X und Helmut Mark gegründet hatte. Gemeint war jenes Paradies, das die Neuen Medien versprochen hatten, während man nun am Horizont eine Schreckensvision à la George Orwells 1984 – Stichwort Big Brother – sich abzeichnen sah.

Glauben ans Paradies

Um zu zeigen, wie sich die frühe Bildübertragungstechnologie Slow-Scan-TV im Sinne der Entgrenzung einsetzen lasse, veranstaltete man etwa ein "Telefonmusikkonzert" mit dem Titel Wiencouver IV. Dessen Idee bestand – lange vor Videotelefonie und Skype – darin, Musiker aus weit entfernten Städten zusammen jammen zu lassen.

Der Glauben ans Paradies sollte Wieners Werk aber auch weiterhin bestimmen. Unermüdlich befasste er sich mit den Auswirkungen der Technologie auf die Gesellschaft, mit dem Verhältnis von Mensch und Medium. Immer wieder versuchte er, den Menschen mit seinem verfremdeten, abgefilmten und digitalisierten Selbst zu versöhnen.

Etwa in jenen Arbeiten der 1980er-Jahre, die Wiener selbst als "Digitale Fotografien" bezeichnete: Der Künstler sammelte Standbilder aus – damals analogen – Videos, um sie zu digitalisieren, farblich zu verfremden oder zu überlagern. Heute würde man vielleicht sagen, Wiener habe Screenshots gemacht, also "Bildschirmfotos".

Auf der Suche nach Gefühl und "inneren Zuständen" in der digitalisierten Welt: "TV-Bildermix 16" (1996).
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Wiener selbst sah diese Arbeitsweise mehr als ein "Spazierengehen" durch mediale Welten, bei dem er Quasi-Erinnerungsfotos schoss. Wenn er Bilder aus ihrem Fluss fischte, um sie sich anzueignen, ging es ihm darum, "innere Zustände" festzuhalten.

Thema sind dabei meist der Körper und das Intime. Die Serie Lavabo etwa zeigt einen Mann in seinem Badezimmer. Wiener flanierte aber auch durch TV-Nachrichten, zeigt etwa einen bewaffneten Soldaten. Dabei faszinierte es ihn, die allzu flüchtigen Bilder nicht nur festzuhalten, sondern außerdem zu Monumentalität aufzublasen – wie um jeden einzelnen Pixel spürbar zu machen.

Störungen zur Entlarvung

In diesem Sinne ist auch Wieners Umgang mit der Störung zu verstehen: Schon als er sich 1985 einen frühen interaktiven Onlinedienst der Post aneignete, um dort ein Kunstmagazin (!) herauszugeben, inszenierte er Störungen der Bildoberfläche – sozusagen, um das allzuoft hinter der Information verborgene Medium zu entlarven. Etwas plakativ wirken anno 2016 Wieners 3-D-Grafiken: Fotografierte Menschen stehen, gleichsam wie auf der Suche nach Orientierung, in computergenerierten Landschaften.

Eindrucksvoll ist im Vergleich zu vielem – auch ästhetisch – von der Zeit Überholten dagegen Wieners Diplomarbeit (1978-80) an der Universität für angewandte Kunst: Für sein Verständnis vom Widerspiel Natur – Technik ist sie programmatisch. Die monumentale Grafik in den Farben Schwarz, Rot, Gelb, Blau zeigt eine Art von unterirdischer Waffenfabrik. Die Parteien, die sich an der Erdoberfläche bekriegen, scheinen dabei in der Tiefe miteinander verbunden zu sein. (Roman Gerold, 27.7.2016)

In seiner Diplomarbeit an der Universität für angewandte Kunst (1978-80) verknüpft Zelko Wiener u.a. mandala-artige Ornamentik mit dem Topos des Kriegs.
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