Es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, wie cool die Bundesregierung auf die Meldung reagierte, dass Brexit-bedingt Nationalratswahl und Österreichs EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 terminlich kollidieren werden. Wer die Stimmung in der Regierung in den vergangenen Tagen und Wochen verfolgt hat, dem ist klar: Weder in der SPÖ noch in der ÖVP glaubt man noch ernsthaft daran, dass die Koalition überhaupt so lange hält. Untergriffe, kleine und größere Sticheleien sind offenbar wieder an der Tagesordnung.

Eines ist im Vergleich zu Werner Faymanns Kanzlerzeiten freilich neu: Christian Kern teilt im Gegensatz zu seinem Vorgänger mitunter auch selbst kräftig in Richtung ÖVP aus, zuletzt gegenüber Innenminister Wolfgang Sobotka wegen dessen permanenter SMS-Abstimmung mit Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll. Das hat durchaus Vorbildcharakter: Sozialminister Alois Stöger (SPÖ), sonst nicht als Ulknudel der Regierung bekannt, legte noch nach und meinte, manche Menschen in Österreich seien eben aus Radlbrunn (Prölls Wohnsitz) "ferngesteuert". Man merkt: Der Ton wird rauer.

Das ist die Kehrseite eines kantigen Profils, wie es Kern der SPÖ versprochen hat: Wenn er nicht länger so tut, als sei eh immer alles eitel Wonne in der Koalition (was ohnehin kein Mensch glaubt), macht er damit unweigerlich die Differenzen öffentlich.

SMS auf fremden Handys mitzulesen gehört sich natürlich nicht. Deren Inhalt dann auch noch öffentlich auszuplaudern schon gar nicht. Der Witz mit dem "Paten" Pröll entzückte zwar die roten Funktionäre, dennoch muss Kern lernen, nicht jede aufgelegte Pointe zu verwerten.

Die schwarze Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten, Gernot Blümel übernahm: Der Wiener ÖVP-Chef unterstellte Kern, explizit und absichtlich einen türkischen Nationalisten mit rechtsextremen Tendenzen zum "Islamgipfel" eingeladen zu haben. Das ist natürlich Unsinn, hier handelt es sich um ein Problem innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft – und Blümel weiß das auch. Aber er zählt zum Kreis ehrgeiziger junger ÖVPler rund um Sebastian Kurz, in dem man die Koalition mit den Roten nur widerwillig hinnimmt. Das Sprichwort vom Wald, in den man hineinruft, gilt auch hier: Kultivierter Umgang miteinander ist eine gegenseitige Angelegenheit.

Auch Reinhold Lopatka lässt keine Gelegenheit aus, öffentlich in Richtung SPÖ-Spitze zu sticheln. Eigentlich sollten die Klubchefs der Regierungsparteien eine verbindende Rolle einnehmen. Lopatka legt seine lieber oppositionell an, und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner kann oder will ihn nicht stoppen. Da erhebt sich auch die grundsätzliche Frage, was Klubobleute überhaupt in Regierungssitzungen zu suchen haben. Die ÖVP hat sich unter Werner Faymann daran gewöhnt, dass der rote Regierungschef lämmchengleich alle Spitzen hinnimmt – aus der irrationalen Angst, bei Widerspruch könnte die ÖVP die Koalition verlassen.

Es ist eine Gratwanderung: Einerseits muss Kern, um der SPÖ wieder Profil zu verleihen, inhaltlich und symbolisch Grenzen setzen. Andererseits ist beständiges Hickhack in der Koalition eine sichere Bank für galoppierenden Vertrauensverlust in die Regierungsparteien. Es wird stark an den konstruktiven Kräften in SPÖ und ÖVP liegen, wie sich das Klima entwickelt – und wie lange sie hält. (Petra Stuiber, 27.7.2016)