Wien – Der Gespensterglaube ist etwas seltsam Paradoxes, ein aufklärerischer Aberglaube. Die Geister der Toten erinnern gewaltsam daran, dass die Vergangenheit nicht vergangen, sondern wirksam bis in die Gegenwart ist. Der Dibbuk, eine Dämonenfigur aus der jüdischen Mythologie, heftet sich dort an einen Lebenden, wo eine Schuld nicht abgegolten wurde. In Dibbuk, dem letzten Film des 2015 jung verstorbenen Regisseurs Marcin Wrona, fährt der Dämon am Vortag einer Hochzeitsfeier in einem polnischen Ort in den Bräutigam.

Auf einer polnischen Hochzeit fährt der Rächergeist Dibbuk in den Bräutigam und stellt über sein Medium unangenehme Fragen zur NS-Vergangenheit.
Foto: drop-out cinema

Die durch die monochromen Bilder wie ermattet wirkende Landidylle ist von Beginn an brüchig. Als der aus England angereiste Bräutigam den Garten vor dem Haus umgräbt, das er als Brautmitgift erhalten soll, fördert er Menschenknochen zutage und versinkt in der schlammigen Erde. Nach seiner Rückkehr wirkt er der Welt um ihn herum entrückt und wird zum Störfall. Als Besessener ein Medium der buchstäblich zugeschütteten Gewalt der Vergangenheit, fragt er insistierend nach, was es mit der Leiche im Garten auf sich hat. Was genau passiert ist, erfahren wir nicht, aber die Hinweise auf die NS-Zeit in Polen sind unmissverständlich.

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Dibbuk ist trotz seiner Prämisse kein Horrorfilm, sondern ein eigensinniger Genrehybrid geworden. Was er über die Aufdeckung einer Gewalttat in der polnischen Provinz erzählt, transportiert Verallgemeinerbares über die Verdrängungsleistung derer, die von der Vernichtung der europäischen Juden nichts wissen wollten. Die Anstrengung, die es braucht, um die Geschichte hinter schnapsseligem Frohsinn zu verbergen und die Lüge intakt zu halten, ist enorm. Dibbuk ist einer der konsequentesten und vielschichtigsten Filme der letzten Jahre über das Thema Geschichte und Erinnerung. (Benjamin Moldenhauer, 28.7.2016)